Bundesministerin Edtstadler: Errungenschaften der Verfassung sind nicht selbstverständlich
Festakt "100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz"
"Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes sagt: Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. So regelt unsere Verfassung, dass die Politik dem Willen der Bürgerinnen und Bürger folgt. Die Politik muss dem Recht folgen", sagte Karoline Edtstadler, Bundesministerin für EU und Verfassung, anlässlich des Festakts "100 Jahre Bundes-Verfassungsgesetz" in der Österreichischen Nationalbibliothek.
Der Souverän des Staates seien die Bürgerinnen und Bürger der Republik Österreich. Die gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten seien als Politikerinnen und Politiker diesem Volk verpflichtet. "Wir handeln nach bestem Wissen und Gewissen im besten Interesse aller Bürgerinnen und Bürger. Und das insbesondere in Zeiten der Krise", betonte die Bundesministerin.
Demokratie verpflichte aber auch dazu, Freiheiten und Rechte zu nutzen, um die Gemeinschaft zu gestalten. Die Ministerin verwies auf Ralf Dahrendorf, der ein aktives, "tätiges" Freiheitsverständnis eingemahnt habe, wenn er feststellte: "Freiheit ist nie ein weiches Kissen, auf dem man sich ausruhen oder passiven Genüssen hingeben kann. Sie ist immer eine Herausforderung zur Aktivität."
Verfassung sieht eigenverantwortliche Bürgerinnen und Bürger
Der Schutz der Freiheitsrechte in der Verfassung gehe daher nicht mit der Entledigung von aller Eigenverantwortung einher. "Die Verfassung einer liberalen Demokratie zielt nicht auf einen Vollkasko-Staat ab. Gesetze und staatliche Verordnungen können nie jeden Lebensbereich bis ins kleinste Detail regeln, auch wenn gerade in Krisenzeiten das Bedürfnis danach besonders groß ist. Unsere Verfassung sieht in uns eigenverantwortliche Bürgerinnen und Bürger", so Karoline Edtstadler.
"Wir stehen in der Pflicht, unsere Verfassung zu schützen. Ihre Errungenschaften sind nicht selbstverständlich und auch unsere Rechte und Freiheiten sind nicht selbstverständlich." Das habe die Geschichte oft gelehrt – sei es in den Zeiten des Ständestaates oder des NS-Unrechtsregimes. "Ihre Qualität allerdings ist beständig. Darum konnte unsere Bundesverfassung auch mit Beginn der Zweiten Republik 1945 in der Fassung von 1929 wieder in Kraft gesetzt werden", erinnerte die Bundesministerin. Die österreichische Bundesverfassung sei zudem immer weiterentwickelt worden und vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels gewachsen. Dies betreffe etwa die Rolle der Frau, die Vorstellung von Familie oder die Kodifikation der Kinderrechte im Jahr 2011.
Meinung nur in der eigenen Echokammer zu reflektieren ist Gefahr für die Demokratie
"Als Gefahr für unsere Verfassung stellen sich aktuell die Kehrseiten der Digitalisierung vieler Lebensbereiche dar." Diese seien Desinformation, Hass im Netz und die Bündelung von Macht im digitalen Raum bei wenigen supranationalen Konzernen. "Eine konkrete Gefahr für unsere Demokratie ist, wenn die Menschen die Welt nur noch in begrenzten Filterblasen wahrnehmen und die Meinung nur in der eigenen Echokammer reflektieren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung und auch das Recht auf Kritik an der Politik bestehen ohne Zweifel. Sie begründen aber nicht das Recht auf eigene Fakten. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, Anstrengungen für Faktentreue im neuen Medienpluralismus zu unternehmen. Es liegt an uns, unsere Verfassung dahingehend vor Missbrauch zu schützen. Jetzt und in den nächsten hundert Jahren", so Edtstadler.
Verfassung fordert gemeinsames Denken und Handeln sowie politische Mitwirkung
"Die österreichische Bundesverfassung hat unserer Republik als Wegekarte durch das Jahrhundert gedient", betonte die Verfassungsministerin. Sie habe dabei geholfen, durch schwierige Phasen zu finden und in neue Zeitalter aufzubrechen. Man sei es ihr daher schuldig, an ihren Grundprinzipien festzuhalten und sie klug weiterzuentwickeln. "Die Verfassung fordert von uns gemeinsames Denken und Handeln, bürgerliche Eigenverantwortung und politische Mitwirkung. Denn nur so können wir unsere Freiheiten aktiv zu unserem Wohl und zum Wohl der ganzen Gesellschaft einsetzen. Unsere Bundesverfassung stellt sicher, dass wir das dürfen. Sie stellt sicher, dass wir das können", sagte die Bundesministerin abschließend.
Bilder vom Festakt sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramts kostenfrei abrufbar.