Bundeskanzlerin Bierlein: Wissenschaft und Journalismus sind unerlässlich im gemeinsamen Kampf gegen Desinformation
Treffen der deutschsprachigen Ethikkommissionen zum Thema "Desinformation in der Medizin"
"Die heutige Konferenz steht unter einem Generalthema, das relevanter nicht sein könnte. Es geht um die Desinformation in der Medizin und der Frage, was Bioethikkommissionen dagegen tun können. Die Bedrohung durch Desinformation ist allumfassend und grenzüberschreitend. Umso mehr ist die Zusammenarbeit zwischen den Ethikkommissionen und eine noch stärkere gemeinschaftliche Vorgangsweise auf europäischer Ebene notwendig", sagte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein bei der Eröffnung des Treffens der deutschsprachigen Ethikräte in Wien.
Die Europäische Kommission habe auf Beschlussfassung des Europäischen Rates eine umfassende Initiative zur Bekämpfung von Desinformation im Internet ergriffen, um mit einer Reihe von Maßnahmen unter Einbindung der Mitgliedstaaten auf Bedrohungen durch Desinformation zu reagieren, so Bierlein. "Beim Thema Desinformation geht es nicht nur um die Frage, ob wahr oder falsch, sondern vorwiegend um die Absicht des Verfassers, die Öffentlichkeit beeinflussen zu wollen. Durch die rasche und unkontrollierbare Verbreitung von manipulierten Informationen in sozialen Medien und durch die Irreführung der Nutzerinnen und Nutzer kann erheblicher Schaden angerichtet werden." Wichtig seien daher mehr Transparenz, eine Rechenschaftspflicht im Internet sowie ein unabhängiges Netz von Faktenprüfern, sagte die Bundeskanzlerin mit Verweis auf den EU-Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation.
Gefahren von Desinformation bewusstmachen
Österreich beteilige sich intensiv an den europäischen Initiativen und messe der Bekämpfung von Desinformation auch auf nationaler Ebene große Bedeutung zu. "Trotz der verschiedenen Initiativen wird es auch künftig notwendig sein, sich der mannigfaltigen Gefahren von Desinformation bewusst zu sein, gerade auch im medizinischen Bereich", so Bierlein. Daher sei das kritische Hinterfragen von Nachrichten und Quellen in der Bevölkerung zu stärken und so die Widerstandsfähigkeit gegen Desinformation zu erhöhen. "Das wirksamste Mittel dazu ist die Kommunikation der sachlichen Information durch die glaubwürdigsten aller Boten, durch die Wissenschaft und den Journalismus." Die Ethikräte würden als Beratungsgremien einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Die Bundeskanzlerin dankte der österreichischen Bioethikkommission für ihre ausgezeichnete Arbeit und dafür, dass mit der heutigen Veranstaltung eine weitere Möglichkeit zum Austausch auf internationaler Ebene in Wien geboten werde.
Informierte Entscheidung forcieren
Die Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission, Christiane Druml, hob hervor, dass "Desinformation in der Medizin eines der drängendsten Themen der heutigen Tage" sei. "Wir befinden uns alle als Akteure in einem Informationskrieg, der mit einer rasanten Geschwindigkeit vor sich geht", so Druml. Täglich gebe es hunderttausende Cyberattacken, Datensätze gingen verloren oder würden aus Firmen gestohlen. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene würden dadurch sogar Demokratien und die freie Meinung der Menschen unterminiert. Freie und informierte Entscheidung sei aber, gerade auch im Bereich der Medizin, von grundlegender Bedeutung für jeden einzelnen. Im postfaktischen Zeitalter werde die tatsächliche Wahrheit oft ignoriert, die "gefühlte Wahrheit" führe dagegen immer häufiger zum Erfolg. Dabei reiche die Bandbreite der Halb- und Unwahrheiten von unabsichtlichen Falschnachrichten bis hin zu Scharlatanerie und Lügen im Dienste von Geschäftemacherei. "Ich hoffe, dass wir als politikberatendes Gremium mit der heutigen Debatte einen Beitrag leisten, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen in diesem Bereich besser entgegentreten zu können", so die Vorsitzende der österreichischen Bioethikkommission.
Emotionalisierung fördert Verbreitung von Falschinformationen
Die Journalistin und IT-Expertin Ingrid Brodnig, seit 2017 Digital Champion Österreichs, leitete mit ihrer Keynote in die Thematik "Desinformation im Internet – von Gerüchten und Halbwahrheiten" ein. Im Bereich der Medizin seien Falschmeldungen besonders heikel, da durch Desinformation Menschenleben gefährdet werden könnten und die Verzweiflung von Betroffenen ausgenutzt werde. Eine große Rolle spiele dabei die Gefahr der Emotionalisierung, die oft als Beschleuniger für die Verbreitung von Falschinformationen diene. Wissenschaftlich fundierte Informationen hätten dagegen den Nachteil, die emotionale Ebene weniger stark anzusprechen. Emotion dürfe in der Reaktion auf Falschnachrichten nicht ausgeblendet werden. Richtigstellungen sollten „klug und gut verständlich gestaltet“ und bei Faktenchecks sollte "das Richtige in den Vordergrund gestellt werden". Dabei seien kurze Texte und eine bildunterstützte Darstellung hilfreich.
Die Expertinnen und Experten diskutierten im Anschluss über mögliche Strategien gegen Desinformation, insbesondere die Rolle von Bioethikkommissionen im Kampf gegen Falschmeldungen in der Medizin. Behandelt wurden auch die Verheißungen der Alternativmedizin und die Frage nach ihrer Wissenschaftlichkeit.
Bilder von diesem Termin sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramtes kostenfrei abrufbar.