Regierungserklärung von Bundeskanzler Alexander Schallenberg

Sehr geehrter Herr Präsident! 
Hohes Haus! 
Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und an den Bildschirmen!

Sie können mir eines glauben: Ich hätte mir niemals erwartet, noch hatte ich angestrebt, ein weiteres Mal als Regierungschef vor Ihnen zu stehen.  
Aber die Menschen in Österreich haben das Recht auf eine handlungsfähige Regierung mit einem Bundeskanzler an der Spitze. So, wie es die Bundesverfassung vorsieht. Und ich versichere Ihnen: Ich werde dieses Amt nach bestem Wissen und Gewissen ausüben.

Es ist meine Aufgabe als Regierungschef, die Amtsgeschäfte mit ruhiger Hand fortzuführen und einen geordneten Übergang sicherzustellen, sobald eine neue Bundesregierung angelobt wird. Denn genau das entspricht meinem Verständnis von Dienst an der Republik, Dienst an der Gemeinschaft und an den Menschen in unserem Land.

Und das bringt mich geradewegs zu meinem Vorgänger. Karl Nehammer als Bundeskanzler nachzufolgen, ist etwas ganz Besonderes. In einer sowohl national als auch geopolitisch sehr herausfordernden Zeit hat er dieses Amt mit unglaublich viel Herzblut, Geradlinigkeit und Rechtschaffenheit ausgefüllt. Er hat dabei immer gezeigt, dass seine Arbeit für unser Land auf einem ganz klaren Wertefundament fußt. Und er ist diesem Wertefundament und sich selbst immer treu geblieben. Er hat unser Land durch schwierige Zeiten geführt und sich dabei nicht verbogen. Er hat Rückgrat bewiesen, Haltung und Größe gezeigt.

Dafür gebührt Karl Nehammer unser aller Dank und tiefer Respekt!

Sehr geehrte Damen und Herren,

Der eine oder andere hier im Raum und an den Bildschirmen wird sich vielleicht fragen:

Warum gibt der mit der Fortführung der Geschäfte betraute Bundeskanzler der einstweiligen Bundesregierung überhaupt eine Regierungserklärung ab? 
Das gehört – so wurde es mir erklärt – zu den Usancen dieser Republik. Und ich glaube, wir sind als Gesellschaft und als Politik gerade an einem Punkt angekommen, wo es gut und recht ist, sich an Usancen zu halten – also an jene ungeschriebenen, tradierten Regeln, die unser Zusammenleben, unsere Zusammenarbeit oft erst wirklich möglich machen.

Denn wir befinden uns in einer innen- wie außenpolitisch äußerst turbulenten Zeit. In dieser Phase ist es wichtig, dass unser Land zügig eine stabile und handlungsfähige Bundesregierung bekommt.

Diese nächste Bundesregierung wird aber – so wie alle anderen vor ihr – nicht im luftleeren Raum agieren. Sie wird eingebettet sein in einem starken und tragfähigen Netz von Verpflichtungen und Regeln – sowohl nationaler als auch internationaler Natur. Völkerrechtliche Verträge und die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen gehören ebenso dazu wie unsere Bundesverfassung.

Daher sind die Grundvoraussetzungen für eine handlungsfähige nächste Bundesregierung völlig klar. Sie wurden bereits von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und vom geschäftsführenden Bundesparteiobmann der ÖVP Christian Stocker dargelegt: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, freie und unabhängige Medien und das klare Bekenntnis zur EU-Mitgliedschaft sind nicht verhandelbar Ebenso wenig wie der Respekt des Völkerrechts und der Grundprinzipien der UN-Charta.

In einer Zeit, in der der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist und in der unser Lebensmodell, beruhend auf Demokratie und Pluralismus unter Druck gerät, kann und darf es keinen Zweifel daran geben, wo Österreich AT steht!

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Wir wissen alle in diesem Raum, dass wir schwierigen Zeiten entgegengehen. 
Wir stehen nicht nur vor globalen, wirtschaftlichen Herausforderungen, die unseren Standort unmittelbar herausfordern. Wir befinden uns, ob wir es wollen oder nicht, auch in einer systemischen Auseinandersetzung.

Autoritäre Systeme fordern unser Lebensmodell und die internationale Ordnung heraus, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut haben.

Wir wissen auch, dass Kräfte im Inneren am Werk sind, die über Social Media, Trolle und Bots versuchen, unsere Gesellschaft zu unterminieren, und unsere Demokratie zu destabilisieren, die jede Geschichte, jede Falschinformation verstärken, die uns spaltet, die uns schwach wirken lässt.

Dagegen müssen wir uns wehren!

Denn das ist für ein Land wie Österreich – einen mittelgroßen, exportorientierten Staat im Herzen Europas – brandgefährlich.

Wir sind darauf angewiesen, dass es eine regelbasierte internationale Ordnung gibt, dass das Völkerrecht eingehalten wird und Verträge respektiert werden, entsprechend dem Grundprinzip "pacta sunt servanda". Die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren muss immer unsere Maxime sein.

Hohes Haus, 
die letzten Jahre haben allzu deutlich gezeigt:

Österreich ist keine Insel der Seligen, wir sind nicht unantastbar. Wir sind vor Krisen, Konflikt und Krieg nicht gefeit. lm Gegenteil, sie betreffen uns manchmal ganz unmittelbar. Die Herausforderungen, die daraus erwachsen, können wir aber nur gemeinsam lösen – in Österreich, in Europa und in der internationalen Gemeinschaft.

Deshalb habe ich meine Amtszeit auch ganz bewusst mit einer Reise nach Brüssel begonnen. Mit der ganz klaren Botschaft: Österreich ist und bleibt selbstverständlich ein verlässlicher und stabiler Partner in Europa und in der Welt.

Und zwar nicht aus Altruismus, aus Selbstlosigkeit, sondern aus wohlverstandenem Eigeninteresse. Eine pro-europäische, multilaterale Orientierung Österreichs ist gerade in so anspruchsvollen, volatilen Zeiten geopolitischer Umbrüche überlebensnotwendig. Denn eine "Schotten-dicht", "Zugbrücke hoch" Mentalität würde nicht nur unseren Wohlstand und unsere Exportwirtschaft gefährden, sondern auch unsere Sicherheit massiv unterminieren.

Der zweite Teil meiner Botschaft war aber genauso deutlich: Nämlich, dass Österreich eine lebendige, funktionierende Demokratie mit einer starken Verfassung und starken Institutionen ist. Ein Land mit höchsten Standards in Bezug auf Grund- und Freiheitsrechte. Nur wenige Orte auf der Welt bieten ihren Bürgern diese Art von Frieden und Freiheit – die Grundlage für die hohe Lebensqualität in unserem Land.

Vor diesem Hintergrund erwarten wir uns als Österreicherinnen und Österreicher Respekt und Achtung für die demokratischen Prozesse in unserem Land. Das habe ich in Brüssel klar eingefordert.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, so wie wir zu Recht Achtung und Respekt von außen erwarten, so sehr müssen wir auch nach innen Achtung und Respekt zeigen.

Österreich ist nämlich keine Konfliktdemokratie, sondern eine Kompromissdemokratie!

Nach blutigen Lehrjahren in der 1. Republik und in der Nazi-Zeit haben wir es geschafft, in diesem Land das Gemeinsame nicht nur zu suchen, sondern es auch zu finden.

Mit Mut zum zivilisierten Diskurs über alle politischen und gesellschaftlichen Differenzen hinweg, mit Mut zur Bürgerlichkeit, die Rechte und Pflichten für alle beinhaltet, und mit Mut zur Kompromissfähigkeit.

Im Geist der Dachauer Lagerstraße sind die Grundlagen für unsere 2. Republik gewachsen. Und nur der Glaube an Österreich ermöglichte damals das Überleben.

Das dürfen wir nie vergessen! Auch nicht in diesem Hohen Haus.

Erst dieser Zugang, das aufeinander Zugehen und Gräben überwinden, hat Österreich über die Jahrzehnte zu dem werden lassen, was es heute ist:

Eine lebendige, stabile und widerstandsfähige Demokratie. Eines der reichsten und sichersten Länder der Erde. Mit einer engagierten Zivilgesellschaft, einer tragfähigen Sozialpartnerschaft und einer vielfältigen Kunst-, Kultur und Medienlandschaft.

Respektieren wir also auch selber die demokratischen Prozesse in unserem Land und haben wir Vertrauen in unsere gewachsenen, demokratischen Institutionen – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.

Unsere wichtigste Ressource sind die hochgebildeten, kreativen und tatkräftigen Menschen, die hier leben und arbeiten und die unser Land erst zu dem machen, was es ist.

Wenn ich über Kreativität rede, lassen Sie mich eine klare Lanze für Kunst & Kultur brechen.

Wenn wir gerade schmerzhaft erleben, dass individuelle Freiheit, Demokratie und Pluralismus weltweit zunehmend unter Druck geraten, ja dass unser Lebensmodell von manchen als Bedrohung, sogar als aggressiven Akt angesehen wird, dann sind Kunst und Kultur kein Luxus.

Ganz im Gegenteil! In Zeiten zunehmender Polarisierungen und Spaltungen ist die Kultur eine Konstante, die uns verbinden kann, die uns Identität, geistige Wehrhaftigkeit und Resilienz geben kann.

Gerade wenn es darum geht, wehrhaft zu sein und unser Lebensmodell zu verteidigen, dann gehört für mich eines untrennbar dazu: Das klare Bekenntnis zu Kunst und Kultur und ihrer Freiheit als wesentliche Form des gesellschaftlichen Dialoges.

Österreich ist eine Kulturnation, auf die wir zurecht stolz sind! Dann lasst uns auch sorgsam mit diesem hohen Gut umgehen.

Sehr Damen und Herren Abgeordnete! 
Liebe Österreicherinnen und Österreicher!

Ich will die Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht kleinreden – die nächste Bundesregierung wird alle Hände voll zu tun haben.

Doch ich bin zuversichtlich und optimistisch. Denn ich bin davon überzeugt, dass wir zur Bewältigung dieser Probleme in Wirklichkeit gut gerüstet sind. Wenn wir nur wollen und zusammenstehen. Haben wir also Vertrauen in unsere eigenen Stärken und unser Potenzial. Und ein bisschen mehr Glauben an das, wofür wir stehen und was wir sind.

Denn Österreich ist nicht nur ein enorm schönes und lebenswertes Land, es ist auch ein starkes, ein weltoffenes Land. Und es liegt an uns allen, auch an Ihnen allen, dass es auch so bleibt.

Ich werde jedenfalls weiter auch in Zukunft das Meinige dazu beitragen.

Ich danke Ihnen!

Die Regierungserklärung als Portable Document File (PDF, 62 KB)