Juliane Bogner-Strauß: "Frauen sollen ihr individuelles Lebensmodell umsetzen können"
Die Ministerien im Interview über ihre frauenpolitischen Prioritäten, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ihre Wünsche für die Zukunft.
Was werden Ihre frauenpolitischen Prioritäten sein?
Frauen sollen ihr individuelles Lebensmodell umsetzen können. Meine Aufgabe als Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend ist es, die notwendigen Voraussetzungen für Wahlfreiheit und selbstständige Entscheidungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Teilnahme und Teilhabe beider Geschlechter am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben sind die Grundlage einer erfolgreichen Gemeinschaft.
Zu den wichtigsten frauenpolitischen Prioritäten gehört daher die Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt – Stichwort: gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Wichtig sind mir außerdem Gewaltprävention und Integration von Frauen. Bis zum Jahr 2022 werden wir 100 neue Betreuungsplätze für von Gewalt betroffene Frauen schaffen. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Gleichstellung der Geschlechter und der Förderung von Frauen. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist die Erhöhung des Frauenanteils in Führungsebenen.
Sie selbst sind als Wissenschaftlerin und Expertin auf dem Gebiet der Biochemie eine erfolgreiche Karrierefrau. Was sind Ihres Erachtens die unerlässlichen "Zutaten", um beruflich zu reüssieren? Welche Rahmenbedingungen müssen dafür gegeben sein?
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss möglich sein. Es ist mir daher ein großes Anliegen, die Kinderbetreuung quantitativ und qualitativ auszubauen und auch für mehr Flexibilität zu sorgen. Für die Länder und Gemeinden ist die Kostenbeteiligung des Bundes wesentlich: Allein im Jahr 2018 investiert der Bund 52,5 Millionen Euro in den Ausbau des institutionellen Kinderbetreuungsangebots.
Mit welchen Maßnahmen wollen Sie für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sorgen? Wie können mehr Männer dazu animiert werden in Karenz zu gehen?
Hier ist es vor allem wichtig, Bewusstsein zu schaffen: Kindererziehung ist Elternarbeit und sollte nicht auf eine Person reduziert werden. Mir ist es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen und Entscheidungsfreiheit zu geben. Ob und wie lange welcher Elternteil in Karenz geht, muss jede Familie für sich entscheiden.
Frauen sind in der Politik und in führenden Positionen in der Wirtschaft, Forschung oder Wissenschaft zu wenig oft vertreten. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Wir brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. Aber wir sind auf einem guten Weg. Ich glaube nicht, dass Frauen in der Politik zu wenig vertreten sind: In dieser Bundesregierung haben wir einen Frauenanteil von 35,7 Prozent und liegen damit über dem EU-Durchschnitt von 27,7 Prozent. Das ist doch sehr ermutigend.
Sind Frauenquoten notwendig?
In manchen Bereichen sind Quoten sinnvoll. Eine starre 50-Prozent-Quote quer über alle Branchen ist aber nicht zielführend: Es gibt einfach Bereiche, in denen es nicht möglich sein wird, diese umzusetzen. In den Aufsichtsräten von Unternehmen, die entweder börsennotiert sind oder ständig mehr als 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, gibt es bereits eine gesetzliche Frauenquote von 30 Prozent.
Wie kann die Lohnschere zwischen Frauen und Männern geschlossen werden?
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit muss endlich selbstverständlich sein. Wichtig sind die Diversifikation von Bildungs- und Berufswegen, bessere Qualifizierung von Frauen, eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und eine Steigerung der Vollzeitbeschäftigung. Doch damit das möglich ist, muss die Kinderbetreuung ausgebaut und flexibilisiert werden. Auch flexiblere Arbeitszeiten würden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vereinfachen. Eltern sollen frei entscheiden, wie lange sie bei ihrem Kind zu Hause bleiben, aber sie müssen sich dessen bewusst sein, welche Auswirkungen lange Karenzzeiten und Teilzeit haben. Viele Frauen sehen die Kinderbetreuungskosten und arbeiten deshalb lieber Teilzeit. Sie lösen damit aber eine Lawine für den Rest ihres Lebens aus, weil sie über die Jahre weniger verdienen, in die Pensionsfalle tappen und in die Altersarmut schlittern. Hier müssen wir mehr Bewusstsein schaffen.
Manchmal entsteht der Eindruck, dass es ein abnehmendes Interesse – insgesamt, aber auch bei den jüngeren Frauen- bezüglich frauenpolitischer Themen gibt. Teilen Sie diese Wahrnehmung?
Ich denke schon, dass junge Frauen politisch interessiert sind und sich auch für frauenpolitische Themen einsetzen.
Sie haben es geschafft, sich eine für Frauen atypische Karriere aufzubauen. Welchen Ratschlag können Sie jungen Frauen, die am Anfang ihrer Karriere stehen, geben?
Ich würde jungen Frauen raten, sich gut zu informieren und gut zu vernetzen, die eigenen Ziele konsequent zu verfolgen und trotzdem flexibel zu bleiben. Wenn Dinge nicht funktionieren, muss man einen anderen Weg als geplant gehen. Das habe ich in der experimentellen Wissenschaft gelernt.
Männer und Frauen sollten sich bei der Ausbildungs- und Berufswahl frei entscheiden können. Aber wir müssen vor allem jungen Mädchen aufzeigen, welche Möglichkeiten es abseits der typischen Frauenberufe gibt.
Sie sind für junge Frauen ein Role Model! Wer hat Sie beeinflusst? Haben Sie Vorbilder und, wenn ja, welche?
Mich haben vor allem meine Eltern beeinflusst. Ich bin mit 2 Brüdern auf einem Bauernhof aufgewachsen, bei uns mussten alle mithelfen. Gleichberechtigung und Gleichbehandlung waren für mich also immer etwas Selbstverständliches.
Seit mehr als 100 Jahren wird der internationale Frauentag gefeiert. Viel wurde schon erreicht. Trotzdem ist die Gleichberechtigung noch nicht in allen Bereichen umgesetzt. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Es macht mich sehr betroffen, wie viele Frauen jedes Jahr Opfer von Gewalt werden. Es ist mir daher ein Anliegen, das Betreuungsangebot in diesem Bereich auszubauen: Bis 2022 werden wir 100 neue Betreuungsplätze schaffen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass Gewalt gegen Frauen endlich ein Ende hat. Natürlich müssen wir auch daran arbeiten, den Gender-Pay-Gap zu verringern. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit muss endlich selbstverständlich sein. In diesem Bereich gibt es leider noch viel zu tun.
Frauen sollen sich in Zukunft nicht mehr fragen, ob sie es sich hätten einfacher machen können: Ich möchte so viel Bewusstsein schaffen, dass Frauen genau wissen, welche Möglichkeiten sie haben.
Und ich wünsche mir, dass Frauen sich nicht gegenseitig als Rabenmütter oder Glucken bezeichnen. Wir Frauen müssen stärker zusammenstehen und die verschiedenen Lebenskonzepte so akzeptieren wie sie sind.