Bundeskanzler Nehammer bei EU-Gipfel in Versailles: Notwendig, gemeinsam gegen die Krise zu investieren

Gespräche zur Energieabhängigkeit, EU-Verteidigung und zum Ukraine-Beitritt

Bundeskanzler Nehammer in Paris

Beim zweitägigen Sondergipfel der 27 EU-Staats- und Regierungsspitzen zum Ukraine-Krieg im französischen Versailles hat sich Bundeskanzler Karl Nehammer für ein neues europäisches Investitionspaket, das die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine abfedern soll, offen gezeigt. "In einer Krise ist es immer notwendig, gegen die Krise zu investieren." Investitionen seien jetzt notwendig und wichtig, genauso auch, dass man sie gemeinschaftlich durchführe. "Wir haben immer klar gesagt, wenn eine Krise da ist, müssen wir auch in die Krise investieren, um die Wirtschaft und Arbeitsplätze zu sichern. Diese Linie bleibt gleich", sagte der Kanzler.

EU unterstützt Ukraine mit friedlichen Mitteln

Die Europäische Union müsse der Ukraine auch nach dem Krieg beim Wiederaufbau helfen, so Nehammer. "Wir als Europäische Union stehen zusammen, jetzt in der Krise innerhalb der Union, und vor allem an der Seite der Ukraine." Der Kanzler plädierte dafür, ein "Zeichen des Friedens" zu setzen. "Die Europäische Union unterstützt die Ukraine mit dem, was wir am besten können, nämlich mit friedlichen Mitteln."

Einerseits seien Sanktionen entscheidend, die auf ihre Wirkung evaluiert würden. "Die stärkste war die Einschränkung der Mittel der Nationalbank der Russischen Föderation. Man sieht, dass der Rubel verfällt. Es gibt eine hohe Inflation. Das heißt, der Wirtschaftsdruck wird jetzt spürbar, auch für den Präsidenten", sagte der österreichische Regierungschef. Auch die Sanktionen gegen Oligarchen würden auf ihre Wirkung kontrolliert. Umgehungskonstrukte und Ausweichmöglichkeiten müssten geschlossen werden. Die EU hat bisher 4 Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Weitere Strafmaßnahmen sind in Arbeit.

Andererseits brauche es einen Waffenstillstand und humanitäre Korridore. Menschen, die die Ukraine verlassen wollten, sollen in der Europäischen Union aufgenommen werden. Oberstes Ziel bleibe aber, die Dialogbereitschaft zwischen der Ukraine und Russland wiederherzustellen, erklärte der Bundeskanzler. Das Scheitern der ersten Gespräche zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba bezeichnete Nehammer als "bitter". Andererseits zeige sich, dass es nach wie vor die Bereitschaft gebe, miteinander zu sprechen. "Wir müssen jetzt alles tun und auch weiter Signale senden, dass der Dialog nach wie vor wichtig ist." Die EU müsse auch mit Russland in Kontakt bleiben.

Kurz-, mittel- und langfristige Reduktion der Energieabhängigkeit von Russland und fossilen Energieträgern

Außerdem will die EU eine Reduktion der Energieabhängigkeit von Russland erreichen. Dafür soll die Energieversorgung auf eine breitere Basis gestellt werden – unter anderem durch Flüssiggas, Biogas und Wasserstoff genauso, wie durch den Ausbau von erneuerbaren Energien. "Unsere Hauptaufgabe ist es, die Menschen in der EU zu schützen. Das tun wir, so gut es geht", betonte Nehammer. Die Versorgungslage müsse "klar und gesichert sein". Zur Energieversorgung gebe es eine kurz-, eine mittel- und eine langfristige Perspektive für Österreich. Kurzfristig seien die Energiespeicher für den nächsten Winter voll zu kriegen, mittelfristig versuche Österreich von der Abhängigkeit von russischem Gas wegzukommen, das sei aber ein langwieriger Prozess. Der langfristige Prozess sei die Unabhängigkeit Österreichs von fossilen Energieträgern.

Erhöhung von Verteidigungskapazitäten und -budget

Keiner habe mit einem Krieg auf europäischen Boden mit konventionellen Waffen gerechnet. "Das Gleichgewicht des Schreckens von atomaren Mächten funktioniert offensichtlich nicht mehr", fügte der Kanzler hinzu. Österreich müsse seine Neutralität verteidigen, deshalb werde man das Verteidigungsbudget erhöhen. Auch die EU berät über die Stärkung ihrer Verteidigungskapazitäten und eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets.

EU-Beitrittsverfahren ist langer Prozess – Kommission prüft

Schließlich wurde über Beitrittsanträge der Ukraine, Moldawien und Georgien diskutiert. Auch die Staaten am Westbalkan seien an einem Beitritt zur Europäischen Union massiv interessiert.

Die EU will "ohne Verzögerungen" die Verbindungen und die Partnerschaft mit der Ukraine stärken, um das Land auf seinem europäischen Weg zu unterstützen. Das haben die EU-Staats- und Regierungsspitzen nach intensiven Diskussionen beschlossen. Bundeskanzler Karl Nehammer betonte, es gebe ein "klares Commitment, dass die Ukraine ein wichtiges Land ist". Die EU müsse jetzt solidarisch zur Ukraine stehen, "unkompliziert und unbürokratisch", so der Regierungschef. Die Union unterstütze die Ukraine "auf dem Weg in die europäische Gemeinschaft an sich", das Beitrittsverfahren sei jedoch ein "extrem langwieriger und sehr komplexer Prozess". Die EU-Kommission prüfe den Antrag. "Es braucht auch Ehrlichkeit und Fairness zueinander. Es ist klar getragen von dem, dass das einmal das Ziel sein kann."

Europäisches Wachstums- und Investitionsmodell für 2030

Auf der Gipfelagenda stand zudem eine Debatte um ein europäisches Wachstums- und Investitionsmodell für 2030. Dabei spielen die Defizit- und Schuldenregeln im Stabilitäts- und Wachstumspakt eine zentrale Rolle.

Bilder aus Versailles sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramts kostenfrei abrufbar.