Bundeskanzler Nehammer: Wir lassen nicht zu, dass die europäische Geschichte wieder einmal mit Blut geschrieben wird
Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates zur aktuellen Lage in der Ukraine
"Die Ereignisse in den letzten 48 Stunden haben dazu geführt, dass sich die sicherheitspolitische Lage in Europa in einer historischen Dimension dramatisch verändert hat. Faktum ist, es herrscht Krieg", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer im Anschluss an eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates. Dieser habe mit dem Ziel getagt, die Österreicherinnen und Österreicher und die Menschen, die in Österreich leben, bestmöglich zu schützen, so der Bundeskanzler.
Konflikt hat historische Dimension
Mit dem Überfall eines Landes zum Zweck der Zerstörung seiner demokratischen Ordnung und zur Etablierung einer Satellitenregierung sei eine Situation eingetreten, die in Europa niemand mehr für möglich gehalten habe. Dies sei so auch beim gestrigen EU-Sondergipfel in Brüssel artikuliert worden. Die militärische Aggression sowie die Verluste zeichnen ein schreckliches Bild. All das habe "eine historische Dimension", so Nehammer.
"Es ist ein allumfassender Krieg, das heißt, es sind Zivilisten bedroht. Es leiden Kinder, Frauen, Männer, Ältere. Es gibt hohe zivile Verluste. Es wird von Seiten der russischen Streitmächte wenig Rücksicht auf die zivile Infrastruktur genommen. Das heißt, dass die Ukraine eine ihrer schwersten Stunden erlebt", so der Bundeskanzler.
Mit Entschiedenheit und Klarheit antworten
Zum Schutz der Österreicherinnen und Österreicher und aller Menschen, die in Österreich leben, sei ein bestmöglich abgestimmtes und einheitliches Vorgehen der Europäischen Union von höchster Bedeutung. Wenn sich ein Land, so wie derzeit die Russische Föderation, der europäischen Friedensordnung widersetze, dann hätten die demokratischen Rechtsstaaten nicht mit militärischer Gewalt, aber mit "Entschiedenheit und Klarheit" sowie "mit der wirtschaftlichen und politischen Macht einer Friedensgemeinschaft" dementsprechend zu antworten, so Nehammer.
Österreich spreche sich als neutrales Land für die Führung eines Dialogs und für Gespräche aus. "Als Bundeskanzler verspreche ich, dass ich alles dafür tun werde. Allerdings haben wir derzeit einen Gesprächspartner, der in beiden Händen Waffen trägt. Das führt dazu, dass derzeit keine Hand für den Dialog frei ist", so Nehammer, der gleichzeitig auf die Bedeutung der österreichischen Neutralität verwies. "Wir sind militärisch neutral, aber nicht in unseren Werten oder dem Völkerrecht. Und diese Neutralität, muss man auch verteidigen." Während es einerseits die Bereitschaft brauche, Brückenbauer zu sein, müssten im Fall der Aggression klare Konsequenzen gezogen werden. "Das sind Sanktionen, die sichtbar machen, dass wir es nicht zulassen und nicht hinnehmen wollen, dass die europäische Geschichte wieder einmal mit Blut geschrieben wird", so Nehammer.
"Wir waren fassungslos, aber wir sind nicht hilflos"
Die Europäische Union sei eine Wertegemeinschaft demokratischer Staaten, welche Freiheit, Rechtstaatlichkeit, Grund- und Menschenrechte ernst nehme. In enger Abstimmung habe man sich daher auf die notwendigen Maßnahmen geeinigt. "Es wurde das massivste Sanktionspaket in der Geschichte der Europäischen Union einstimmig beschlossen. Das Sanktionspaket wird auch für uns als Mitgliedstaaten teilweise schmerzhaft sein. Auch das war gestern ein intensives Thema. Aber dieser Schmerz, den wir in wirtschaftlichen Fragen erleiden, ist nichts im Vergleich dazu, wenn man an den Schmerz denkt, den gerade die ukrainische Bevölkerung im Krieg und Terror erleidet", so der Bundeskanzler.
Weitreichende Sanktionen beschlossen
Dieses Paket könne sich tatsächlich allen Kritikerinnen und Kritikern stellen, weil es massiv in die russische Wirtschaft eingreife. Die Luftfahrtindustrie, die Weltraumindustrie und die Schiffsbauindustrie würden durch jegliches Verbot von technischen Knowhow-Transfer massiv von den Sanktionen getroffen. So stammten etwa Dreiviertel der zivilen Flugzeuge, die in der Russischen Föderation im Einsatz sind, von europäischen Unternehmen. Es wurde beschlossen, dass es für diese Maschinen keine Ersatzteile geben werde. Ebenso betroffen von den Sanktionen seien Russlands Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow. "Das ist ein unglaublich starkes Signal, dass sich sowohl der Präsident als auch sein Außenminister mitschuldig gemacht haben, für das, was gerade passiert, nämlich seit 1945 wieder Krieg in Europa", so Nehammer.
Jetzt ist es die Ukraine. Wer ist als nächstes?
"Diese gestrige EU-Ratssitzung war eine Sitzung, die getragen war von Empathie. Sie war eine Sitzung, die getragen war im Bewusstsein der Europäischen Geschichte und darüber wissen europäische Mitgliedsstaaten inklusive Österreich viel zu erzählen. Und auch deshalb sind die Sorgen so groß, denn die baltischen Staaten wissen, was Sowjet-Terror bedeutet. Polen weiß, was es heißt, in der Geschichte geteilt zu sein, zwischen Nazi-Terror und Sowjet-Kommunismus. Und all das wird jetzt plötzlich für uns alle längst unerwartet wieder sichtbar und spürbar. Die Angst vor der absoluten Offensive. Jetzt ist es die Ukraine. Wer aber als nächstes?", so der Bundeskanzler.
Militärische Landesverteidigung Österreichs stärken
In der heutigen Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates habe überdies Einigkeit darüber geherrscht, dass die Themen Sicherheit und umfassende Landesverteidigung ernster denn je genommen werden müssen. Die Bundesregierung habe gemeinsam mit den im Parlament vertretenen Parteien alles zu unternehmen, um die militärische Landesverteidigung zu stärken und weiter zu entwickeln. "Darüber hinaus gab es einen einstimmigen Antrag, dass das, was hier in der Ukraine passiert, mit nichts zu rechtfertigen ist. Gleichzeitig werden wir nicht aufgeben, weder als Republik Österreich noch als Europäische Union, weiter zu versuchen, dass zumindest die Waffe aus einer Hand weggelegt wird, damit wir mit Gesprächen beginnen können mit dem Ziel, Frieden für die Menschen in der Ukraine zu erreichen", so der Bundeskanzler abschließend.