Bundeskanzler Nehammer: Österreich wird alles daransetzen, seiner Rolle als Brückenbauer weiterhin gerecht zu werden
Erklärung zur aktuellen Krise zwischen Russland und der Ukraine im Nationalrat
"Wir sind derzeit mit einer Situation konfrontiert, von der wir alle gemeinsam gehofft haben, dass sie in Europa nie wieder eintritt. Gleichzeitig sind wir mit dem Faktum konfrontiert, dass in Europa wieder Krieg herrscht", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer in seiner Erklärung im Nationalrat, die er nach einer Sitzung des Krisenkabinetts abgab.
Russland sei ein Land, das eng mit der österreichischen Geschichte verbunden sei. Durch den Einsatz russischer Soldaten für die Demokratie sei der Naziterror in Österreich beendet worden. Gleichzeitig wähle die Russische Föderation nun aber einen Weg, der zutiefst abzulehnen sei. "Für uns in Österreich gilt der Grundsatz: Es gilt die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. Völkerrecht ist für uns essentiell, Völkerrecht ist das Fundament in der Gründung der Zweiten Republik", hielt der Bundeskanzler fest. Er zeigte sich erschüttert darüber, dass "wir offensichtlich nicht in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen", trotz der unisono vereinbarten internationalen Bekenntnisse und Verpflichtungen, Konflikte nicht mehr mit Gewalt zu lösen, sondern sich am Verhandlungstisch zu einigen.
Einigkeit in der EU: kein Verständnis für die Kombination von Politik und Gewalt
Es sei aber nicht alles "nur fatal und schlecht". Die Europäischen Union bekenne sich zu einem gemeinsamen Vorgehen "und dieses gemeinschaftliche Vorgehen ist in dieser Zeit der Not so wichtig und gleichzeitig so einend für uns in der Europäischen Union", so Nehammer.
Die EU habe sich dazu bekannt, klar und geeint mit Sanktionen gegen die Russische Föderation aufzutreten. Eine der Maßnahmen betreffe auch das Projekt Nord Stream 2, das nun auf Eis gelegt werde. "Das ist nur eine von vielen Maßnahmen, die wir setzen werden, um der Russischen Föderation klar zu machen, dass es in Europa kein Verständnis mehr geben wird, dass Politik und Gewalt miteinander kombiniert werden", stellte der österreichische Regierungschef klar.
Solidarische Neutralität: Österreich als Vermittler
Zur Rolle Österreichs als neutrales Land hielt Karl Nehammer fest, dass die österreichische Neutralität seit ihrer Inkraftsetzung immer eine militärische gewesen sei. Österreich habe seine Neutralität niemals so verstanden, "dass wir uns hinter ihr verstecken oder keine Meinung haben. Ganz im Gegenteil: Wir haben uns immer schon dazu bekannt, solidarisch zu sein".
Daher habe man sich immer in internationalen Organisationen wie der Europäischen Union oder der OSZE engagiert. "Österreich wird seine Rolle niemals aufgeben: die des Vermittlers, des Brückenbauers und desjenigen, der an Dialog interessiert ist". Die OSZE mit ihrem Sitz in Wien, deren Beobachter nun vor Ort als "Zeugen des Schreckens" fungierten, werde alles daransetzen, wieder eine zentrale Bedeutung darin zu erlangen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen.
Krisenkabinett ermöglicht rasches Reagieren – Kriseninterventionsteam für Evakuierungen im Einsatz
"In ernsten Zeiten wie diesen ist es geboten, den Menschen Antworten auf ihre Sorgen zu geben", betonte der Bundeskanzler und bedankte sich bei der Verteidigungsministerin, dem Innen- und dem Außenminister, der Energie- und der Wirtschaftsministerin sowie dem Vizekanzler, "dass wir schon sehr frühzeitig damit begonnen haben, Vorsorge zu treffen". Nehammer verwies auf das bereits gebildete Krisenkabinett, "mit dem Zweck, rasch und effizient reagieren zu können". Die Maßnahmen würden dabei von der Evakuierung aus der Ukraine bis hin zu Fragen der Energieversorgungssicherheit reichen. In die Ukraine sei ein Kriseninterventionsteam an die österreichische Botschaft entsandt worden, um mit den Österreicherinnen und Österreichern im Land in Hinblick auf eine Evakuierung Kontakt aufzunehmen. Betroffene sollten mit der Botschaft rasch in Kontakt treten, "um eine geordnete und sichere Evakuierung vornehmen zu können".
Energieversorgung für Österreich bleibt sichergestellt – Zusammenarbeit auf EU-Ebene
"Österreich braucht russisches Gas. Ob das für die Zukunft so schlau ist, das kann man jetzt tatsächlich hinterfragen", sagte der Bundeskanzler. Nicht nur Österreich, sondern auch die Europäische Union würde diese Abhängigkeit von russischem Gas hinterfragen und nach Alternativen suchen. Die österreichische Energieministerin würde in dieser Frage "sehr umsichtig und sorgsam" gemeinsam mit der Europäischen Kommission Gespräche führen, um die Versorgungssicherheit weiterhin zu gewährleisten. Verhandlungen mit Alternativanbietern seien bereits aufgenommen worden, um mögliche Lieferengpässe "sofort kompensieren zu können", so der Kanzler, der versicherte: "Selbst bei einer Null-Lieferung ist Versorgungssicherheit bis in den April hinein garantiert." Die Europäische Union habe bereits intensive Verhandlungen sowohl mit den USA, mit Nordafrika und dem arabischen Raum aufgenommen, um rasch reagieren zu können und arbeite in dieser Frage in "großer Einigkeit und Klarheit" zusammen.
Gleichzeitig sei es in der aktuellen Situation unerlässlich, "die Diplomatie nicht zu vernachlässigen", so Nehammer weiter. Das Außenministerium setze sich weiterhin dafür ein, "die Gesprächskanäle offen zu halten". Österreich habe innerhalb der EU eine gewichtigere Stimme als alleine und es gehe darum, klarzustellen, "dass das völlig unnötige Leid der Menschen in der Ukraine, das nun ausgelöst wird, für uns inakzeptabel ist."
"Nachbarschaftshilfe für Ukraine ist selbstverständlich"
Der Bundeskanzler verwies auf die jetzt wichtige Aufgabe des Innenministeriums, die kritische Infrastruktur und Resilienz der Republik gegenüber Spionageangriffen sicherzustellen und mögliche Sabotageakte abzuwehren. Ein weiterer wesentlicher Faktor sei es, für mögliche Fluchtbewegungen Vorsorge zu treffen, denn "Krieg bedeutet immer auch Vertreibung". Die Ukraine liege nicht weit von Österreich entfernt und "Nachbarschaftshilfe ist für unser Land selbstverständlich, Menschlichkeit hat in den Vordergrund zu treten", betonte der Regierungschef.
Bedeutung von militärischer Landesverteidigung und Sanktionen
Der Bundeskanzler hob auch die Bedeutung der militärischen Landesverteidigung hervor, verlässliche Informationen über die aktuelle Lage vor Ort seien eine wichtige Grundlage für Entscheidungen: "Es ist von zentraler Bedeutung, dass die militärische Landesverteidigung eine zentrale Rolle für die Sicherheitsarchitektur der Republik Österreich spielen muss und soll", dies gelte sowohl in Zeiten einer Pandemie als auch gerade angesichts der aktuellen Krise in der Ukraine. "Sanktionen sind ebenfalls ein wichtiges Instrumentarium, aber es wird für die Wirtschaftsbetriebe nicht leicht sein, diese mitzutragen", so Nehammer. Dies treffe gerade für österreichische Unternehmen zu und daher sei es notwendig, dementsprechend Vorsorge zu treffen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission habe bereits Kompensationshilfen in Aussicht gestellt und die Verhandlungen dazu seien angelaufen.
Gemeinsam Österreichs Sicherheitsinteressen vertreten und Rolle als Brückenbauer gerecht werden
Abschließend versicherte der Bundeskanzler gegenüber dem Parlament, die "Politik der Transparenz" fortzuführen und laufend über Entwicklungen zu informieren. "Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit", erklärte Nehammer und rief zu einem gemeinsamen Eintreten für das Sicherheitsinteresse der Republik Österreich auf. "Ich verspreche dem Hohen Haus, dass Österreich alles unternehmen wird, um seiner Rolle als Brückenbauer gerecht zu werden, damit der Dialog wieder in den Vordergrund treten kann, damit die Diplomaten die Bühne der Weltpolitik wieder betreten und die Soldaten verschwinden können."
Bilder von diesem Termin sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramts kostenfrei abrufbar.