Vorausschau: 10 Herausforderungen für die EU im Jahr 2021

Nach "Brexit" und Coronavirus-Pandemie geht ein intensives "europäisches" Jahr 2020 zu Ende. Welche Themen und Herausforderungen werden die Europäische Union 2021 voraussichtlich prägen? Ein Überblick.

Covid-19-Pandemie: Gemeinsame Impfstoff-Beschaffung, bessere Koordinierung

Impfung
Foto: European Union Audiovisual Service

Die Covid-19-Pandemie und die Bewältigung der sozioökonomischen Folgen sowie eine Verbesserung des europäischen Krisenmanagements werden auch 2021 an der Spitze der Agenda der EU-Institutionen und EU-Mitgliedstaaten stehen.

Seit 27. Dezember 2020 wird in der EU geimpft: Die EU-Arzneimittel-Agentur (EMA) und die EU-Kommission haben dem ersten Covid-19-Impfstoff am 21. Dezember 2020 die bedingte Marktzulassung erteilt. 2021 sollen weitere Genehmigungen von Impfstoffen folgen. Die gemeinsame Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen kann als EU-Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Zudem werden Bemühungen zur verstärkten Koordinierung von Maßnahmen – etwa in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung von Tests oder die Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit – das Jahr 2021 ebenfalls prägen.

1,8 Billionen Euro: Neue Finanzperiode für das größte EU-Budget aller Zeiten startet

Euroscheine
Foto: European Union Audiovisual Service

Nach 4 Tagen und Nächten waren 1,8 Billionen Euro unter Dach und Fach: Die Tagung der 27 EU-Staats- und Regierungsspitzen brachte im Juli 2020 den Durchbruch für das EU-Haushaltspaket und "Next Generation EU" (NGEU) als Covid-19-Aufbauinstrument. Das ausgehandelte Paket hat insgesamt ein beispielloses Volumen: 1,074 Billionen Euro werden für den Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), 750 Milliarden Euro für das Aufbauinstrument "Next Generation EU" (davon 390 Milliarden Euro als Zuschüsse, 360 Milliarden Euro als Kredite) veranschlagt. Der MFR unterlegt die politischen Schwerpunkte der EU für die kommenden 7 Jahre (2021 bis 2027) mit konkreten Ausgabenprogrammen. "Next Generation EU" unterstützt die Mitgliedstaaten von 2021 bis 2023 bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Coronavirus-Pandemie und sind an Bedingungen (etwa Ratenzahlung in Abhängigkeit von Reformen und Projektfortschritten) geknüpft. Beide Instrumente setzen klare "grüne" und digitale Schwerpunkte.

Innovativ ist der Rechtstaatlichkeitsmechanismus, auf dessen Details sich die EU-Staaten im November beziehungsweise Dezember 2020 einigen konnten: Im neuen Mehrjährigen Finanzrahmen ist erstmals ein Bekenntnis zur Rechtstaatlichkeit und ein Mechanismus zum Schutz des Haushalts verankert. Im Fall von Verstößen kann die Europäische Kommission konkrete Vorschläge für Maßnahmen vorlegen, die der Rat mit qualifizierter Mehrheit bestätigen soll.

Minus 55 Prozent Treibhausgasemissionen bis 2030: Neues EU-Klimaziel

Symbolbild: #EUGreenDeal
Foto: European Union Audiovisual Service

Die EU-Staats- und Regierungsspitzen haben 2019 das Ziel unterstützt, bis zum Jahr 2050 eine klimaneutrale Union zu erreichen. Dies folgte auf die Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die sie mit der Unterzeichnung des Übereinkommens von Paris im Jahr 2015 eingegangen sind. Der "Green Deal" als neue Wachstumsstrategie für die EU zielt darauf ab, die EU zu einer klimaneutralen, fairen und wohlhabenden Gesellschaft mit einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft zu machen.

Die EU soll eine führende Rolle bei der weltweiten Bekämpfung des Klimawandels spielen. Im Dezember 2020 hat der Europäische Rat das verbindliche Ziel gebilligt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 intern netto um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern. Aktuell liegt das Ziel bei minus 40 Prozent. Das ambitionierte neue Ziel soll in den Vorschlag für das Europäische Klimagesetz aufgenommen und rasch erlassen werden – beide Punkte werden 2021 den portugiesischen und slowenischen EU-Ratsvorsitz, die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten intensiv beschäftigen.

"Time to deliver": Portugal übernimmt EU-Ratsvorsitz von Deutschland

Logo EU-Präsidentschaft Portugal
Foto: 2021portugal.eu

Portugal hat von 1. Jänner bis 30. Juni 2021 nach Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union inne. Im zweiten Halbjahr 2021 folgt Slowenien. Für beide Staaten ist es keine Premiere: Slowenien hatten den EU-Ratsvorsitz zuvor 1 Mal, Portugal bereits 3 Mal inne. Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft steht unter dem Motto "Time to deliver: a fair, green, digital recovery". Die Post-Brexit-Phase, insbesondere aber die Bewältigung der Covid-19-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf Gesundheitswesen, Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Umsetzung des Mehrjährigen Finanzrahmens und der Wiederaufbau-Mittel werden Portugal, das seit 1986 EU-Mitglied ist, in den 6 Monaten intensiv beschäftigen. Im Fokus soll während der Ratspräsidentschaft bis 30. Juni 2021 vor allem auch das europäische Sozialmodell stehen.

Im Rahmen des Trioprogramms, welches eine reibungslose Übergabe des aktuellen Ratsvorsitzes eines EU-Mitgliedstaat an den nächsten ermöglicht, arbeiten Deutschland (2. Halbjahr 2020), Portugal (1. Halbjahr 2021) und Slowenien (2. Halbjahr 2021) für 18 Monate eng zusammen. Neben der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie zählt zu den gemeinsamen Zielen des Trios auch die Verbesserung der Koordinierung innerhalb der Europäischen Union sowie der Aufbau einer widerstandsfähigeren EU, um besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein.

"Brexit": Handels- und Kooperationsabkommen fixiert

Frau liest in der U-Bahn eine Zeitung
Foto: European Union Audiovisual Service

Knapp vor Auslaufen der vereinbarten Übergangsphase am 31. Dezember 2020 haben sich die EU-Kommission und das Vereinigte Königreich grundsätzlich auf ein umfassendes Handels- und Kooperationsabkommen geeinigt. Das Abkommen tritt vorläufig befristet bis Ende Februar 2021 in Kraft; in dieser Zeit muss das Europäische Parlament dem Abkommen noch zustimmen.

Das Vereinigte Königreich ist mit 31. Jänner 2020 aus der Europäischen Union ausgetreten ("Brexit"). Mit 1. Jänner 2021 folgt das Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Schon im Austrittsabkommen werden wichtige Fragen geklärt, etwa die Rechte der EU-Bürgerinnen und EU-Bürger und jene der britischen Staatsangehörigen, die in Großbritannien beziehungsweise der EU leben und arbeiten. Eine spezielle Regelung im Austrittsabkommen sieht vor, dass Nordirland Teil des britischen Zollgebiets bleibt, aber alle relevanten Binnenmarktregeln der EU in Nordirland Anwendung finden sowie der EU-Zollkodex angewandt wird. Das Handels- und Kooperationsabkommen schlägt ein neues Kapitel der Beziehungen zwischen EU und Großbritannien auf: Eine umfassende Wirtschaftspartnerschaft mit einem Freihandelsabkommen sieht weder Zölle noch Quoten vor. Weitreichende Regelungen sollen für fairen Wettbewerb in der Wirtschaft und anderen Bereichen sorgen. Das Abkommen begründet zudem eine Sicherheitspartnerschaft und damit die künftige Kooperation bei Justiz und Inneres. Großbritannien nimmt weiterhin an 5 EU-Programmen teil, darunter dem Forschungsprogramm "Horizon Europe", nicht aber am "Erasmus+"-Austauschprogramm für Studierende und Lehrende. Die Fangrechte für EU-Fischerinnen und -Fischer in britischen Gewässern werden innerhalb von 5,5 Jahren um 25 Prozent gekürzt; ab Juni 2026 muss darüber neu verhandelt werden. Schon früher, nämlich im Lauf des Jahres 2021, sollen weitere offene Punkte geklärt werden, etwa der Zugang der britischen Dienstleistungen zum EU-Markt.

EU-Zukunftskonferenz: Lehren aus der Krise ziehen und die Europäische Union mitgestalten

Person vor einem Notebook
Foto: European Union Audiovisual Service

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hatte bei ihrem Amtsantritt 2019 in ihren politischen Leitlinien eine auf 2 Jahre angelegte Konferenz zur Zukunft Europas angekündigt. Aufgrund der Coronavirus-Krise wurde der ursprüngliche geplante Start der Zukunftskonferenz (9. Mai 2020) verschoben und soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die österreichische Bundesregierung spricht sich für einen ehestmöglichen Start der EU-Zukunftskonferenz und eine offene, inklusive Debatte aus.

In Österreich hat Europaministerin Karoline Edtstadler den Austausch mit der Bevölkerung bereits 2020 gestartet: Zahlreiche "Österreich-Dialoge zur EU" haben die Europaministerin in die österreichischen Bundesländer geführt. Interessierte können zudem ihre Vorstellungen, Erwartungen und Vorschläge zur Zukunft der Europäischen Union bereits jetzt unter www.euneudenken.at übermitteln. Der Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern wird auch 2021 fortgesetzt. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie kann die EU – angesichts zahlreicher Herausforderungen wie Coronavirus, Klimawandel oder Migration – zukunftsfit, handlungsfähig und krisenfest gemacht werden? "Wir haben jetzt die Chance, kritisch und konstruktiv über die europäische Zukunft zu reflektieren, die entsprechenden Lehren zu ziehen und Europa gemeinsam besser zu machen", so Europaministerin Edtstadler.

Asyl- und Migrationspolitik: Bemühungen um Reformen gehen weiter

Armbinde eines Frontex-Beamten
Foto: European Union Audiovisual Service

Die EU-Kommission hat am 23. September 2020 einen Vorschlag für die Reform der europäischen Asyl- und Migrationspolitik vorgelegt. Durch verbesserte Verfahren und eine ausgewogene Verteilung zwischen Verantwortung und Solidarität sollen in Zukunft alle Mitgliedstaaten auf die eine oder andere Weise ihren Beitrag leisten, so die Vorstellungen der Europäischen Kommission. Das vorgeschlagene Migrations- und Asylpaket der EU-Kommission beruht auf folgenden Kernelementen: einem verpflichtenden Solidaritätsmechanismus in Krisenzeiten, auf effizienteren Grenzverfahren und Rückführungen, der verstärkten Zusammenarbeit mit Drittstaaten, mehr legalen Zugangswegen und einem entschlossenen Vorgehen gegen Schleuser. Die Vorschläge werden 2021 von der portugiesischen und slowenischen EU-Ratspräsidentschaft weiter diskutiert.

Die österreichische Bundesregierung begrüßt insbesondere die Vorschläge für einen umfassenden Außengrenzschutz und die intensive Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Rückübernahmeabkommen. Jeder Mitgliedstaat solle seinen Beitrag leisten, aber nur dort, wo er könne, und auf eine Weise, die zumutbar sei (Konzept der flexiblen Solidarität).

Westbalkan: Gibt es 2021 grünes Licht für Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien?

Mann mit Holzkoffer
Foto: European Union Audiovisual Service

Im März 2020 wurde die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien beschlossen – doch bis Jahresende 2020 gab es keine Einigkeit aller 27 EU-Mitgliedstaaten zur Einberufung einer Regierungskonferenz, die konkrete Voraussetzung für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen ist. Ein Durchbruch könnte 2021 unter portugiesischer oder slowenischer EU-Ratspräsidentschaft erzielt werden. Montenegro, Serbien, die Republik Nordmazedonien und Albanien sind offizielle Bewerberländer. Mit Montenegro und Serbien wurden Beitrittsverhandlungen und Verhandlungskapitel eröffnet. Bosnien und Herzegowina sowie der Kosovo sind potenzielle Bewerberländer.

Das Ziel der Europäischen Union besteht darin, Frieden, Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern des westlichen Balkans zu fördern und eine Perspektive für die Integration in die EU zu eröffnen. Dazu hat die EU eine Politik zur Unterstützung der schrittweisen Integration der Länder des westlichen Balkans in die EU entwickelt. Eine glaubwürdige Erweiterungspolitik ist eine geostrategische Investition in Frieden, Stabilität, Sicherheit und Wirtschaftswachstum in ganz Europa. Zur Bewältigung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie hat die EU ein Paket von mehr als 3,3 Milliarden Euro mobilisiert, einschließlich Soforthilfe zur Bewältigung der gesundheitlichen Herausforderungen. Die EU behandelt die westlichen Balkanstaaten als privilegierte Partner, indem sie ihnen Zugang zu vielen Initiativen und Instrumenten gewährt, die normalerweise den EU-Mitgliedstaaten vorbehalten sind.

Nachhaltige Mobilität: 2021 ist Europäisches Jahr der Schiene

2 Frauen auf einem Bahnsteig
Foto: European Union Audiovisual Service

Auf Vorschlag der Europäischen Kommission wird 2021 das Europäische Jahr der Schiene. Ziel der Initiative ist es, Bewusstsein für den europäischen "Green Deal" im Verkehrssektor zu schaffen und EU-weit durch Veranstaltungen, Kampagnen und Initiativen die Schiene als einen nachhaltigen, innovativen und sicheren Verkehrsträger zu stärken. Ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der EU werden aktuell durch den Verkehr verursacht. Diese sollen bis 2050 um 90 Prozent reduziert werden. Unter anderem soll von den 75 Prozent Inlandsfracht, die derzeit auf der Straße befördert wird, ein wesentlicher Teil auf Schiene und Binnenwasserstraßen verlagert werden.

Die "Europäische Jahre" sind bestimmten Themen gewidmet und sollen Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene anstoßen. Ein Europäisches Jahr ist für die EU-Institutionen und die EU-Mitliedstaaten eine bedeutsame Zusicherung, dass das betreffende Thema künftig auf der politischen Tagesordnung stehen wird.

Coronavirus-Pandemie führt zu Verlängerung: Galway und Rijeka auch 2021 Kulturhauptstädte Europas

Kulturhauptstädte Galway und Rijeka
Foto: Europäische Kommission

Da zahlreiche geplante Veranstaltungen aufgrund der Covid-19-Pandemie ausgefallen sind, behalten Galway (Irland) und Rijeka (Kroatien) bis 30. April 2021 ihre Titel als Kulturhauptstädte Europas. Zudem hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, dass Novi Sad (Serbien) nicht im Jahr 2021, sondern 2022 Kulturhauptstadt Europas sein soll. Die Städte Timișoara (Rumänien) und Elefsína (Griechenland) den Titel 2023 (und nicht wie geplant 2021) tragen sollen.

Der Titel "Kulturhauptstadt Europas" wird seit 1985 jährlich von mindestens einer europäischen Stadt geführt. Die Initiative soll die Vielfalt der Kulturen in Europa hervorheben, trägt aber auch zur Stadt- und Regionalentwicklung sowie zur Tourismus-Förderung bei. Seit 2010 darf auch eine Stadt außerhalb der EU den Titel tragen. Für Vorbereitung und Durchführung des Programms steht den Städten ein Budget von insgesamt 65,5 Millionen Euro zur Verfügung. Die erste Kulturhauptstadt Europas war 1985 Athen. Österreich beteiligte sich mit Graz (2003) und Linz (2009) an der Initiative und wird 2024 – neben Tartu (Estland) und Bodø (Norwegen) – mit dem Salzkammergut und der Zentrale Bad Ischl erneut eine Kulturhauptstadt Europas stellen.