Europaministerin Edtstadler zum Abschluss der "Konferenz zur Zukunft Europas": "Lasst uns ein neues, besseres Europa schmieden!"
Präsentation des Aktivitätenberichts zur EU-Zukunftskonferenz in Österreich – Europaministerin: "Unsere Gemeinschaft ist das, was uns in der Welt stark macht" – Reformen sollen EU geopolitisch, wirtschaftlich und institutionell stärken
Europaministerin Karoline Edtstadler hat am 9. Mai 2022, dem Europatag, anlässlich des offiziellen Abschlusses der "Konferenz zur Zukunft Europas" den Aktivitätenbericht (2020-2022) zur EU-Zukunftskonferenz in Österreich präsentiert. "Wir begehen am 9. Mai den Europatag zur Erinnerung an die Schuman-Erklärung von 1950. Der französische Außenminister Robert Schuman hatte damals die Gründung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorgeschlagen, um Krieg nicht nur zu verhindern, sondern ihn unmöglich zu machen. Dies war der Grundstein für die Entwicklung der Europäischen Union, wie wir sie heute kennen. Sie hat uns in den letzten Jahren Freiheit, Frieden und Wohlstand gebracht", betonte Europaministerin Karoline Edtstadler in ihrer Ansprache im Bundeskanzleramt.
Weiterentwicklung der EU ist den Österreicherinnen und Österreichern großes Anliegen
Bereits vor der Coronavirus-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine sei die Zukunftskonferenz angekündigt worden, so die Europaministerin. "Unter Einbindung der Bürgerinnen und Bürger aller EU-Mitgliedstaaten sollte über eine verbesserte Europäische Union diskutiert werden. In einem breit angelegten Diskussionsprozess sollten Lösungen für europäische Herausforderungen aufgezeigt und Antworten auf wichtige Fragen gefunden werden."
Österreich habe sich bei der EU-Zukunftskonferenz besonders engagiert und zähle zu den aktivsten Mitgliedstaaten, zog Edtstadler eine positive Bilanz. 1.421 Beiträge auf der digitalen Plattform zur EU-Zukunftskonferenz sind aus Österreich gekommen; damit rangiert unser Land im EU-Ländervergleich an siebenter Stelle, gemessen an der Bevölkerungszahl sogar unter den Top 6 der 27 Mitgliedstaaten. Seit dem offiziellen Start am 9. Mai 2021 habe es in Österreich jeden zweiten Tag eine Aktivität im Rahmen der Zukunftskonferenz gegeben, betonte Europaministerin Edtstadler, die bei dieser Gelegenheit all jenen, die sich "vom Bodensee bis zum Neusiedler See" aktiv beteiligt haben, ihren Dank aussprach. Die Weiterentwicklung der EU sei den Bürgerinnen und Bürgern in Österreich ein Anliegen, das zeige die Vielzahl, Kreativität und Inklusivität an Aktivitäten, strich Edtstadler hervor, die im Rahmen der Veranstaltung "nicht ganz ohne Stolz" den Aktivitätenbericht zur "Konferenz zur Zukunft Europas" in Österreich präsentierte.
Europaministerin Edtstadler: Die EU muss umgehend wesentliche Reformen einleiten
Auf europäischer Ebene sei die Zukunftskonferenz jedoch "nicht wie erhofft verlaufen", strich Edtstadler hervor: Zu viel Zeit sei für prozedurale Fragen aufgewandt, zu wenig diskutiert worden. "Wir müssen über Lösungen für die entscheidenden und akuten Probleme sprechen. Unser Fortschritt und das europäische Lebensmodell sind gefährdet", hielt die Ministerin mit Blick auf den Angriffskrieg auf die Ukraine, das aufstrebende China, wirtschaftliche Abhängigkeiten und die steigende Anzahl an Autokratien fest. Die globale Weltordnung sei in Bewegung und man müsse sich darauf einstellen, dass Europa langfristig mit Konflikten konfrontiert sein werde. Die Inflation steige, Lieferketten seien unterbrochen worden; dies sei bereits während der Pandemie sichtbar geworden.
"Wir brauchen europäische Reaktionen auf diese Veränderungen. Wir brauchen den Zusammenhalt, denn dieser ist unsere Stärke. Unsere Gemeinschaft ist das, was uns in der Welt stark macht", bekräftigte die Europaministerin. Die EU müsse umgehend wesentliche Reformen einleiten. Den Anstoß dazu würden die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger, die sich an der Zukunftskonferenz beteiligt haben, geben. "Die Ideen und Lösungsansätze aus der Zivilgesellschaft und aus der Wirtschaft geben die Richtung dafür vor, in die sich die Europäische Union entwickeln muss." In vielen Bereichen sei "mehr Europa", mehr Vergemeinschaftung als bisher erforderlich. All jene Probleme, die besser in den Mitgliedstaaten gelöst werden können, sollten weiterhin in nationaler Verantwortung bleiben.
Geopolitische Rolle, wirtschaftliche Macht und institutionelles Gefüge der EU in den Fokus rücken
Europaministerin Karoline Edtstadler skizzierte 3 Ideen, die ihr als persönliches Fazit richtungsweisend für die weitere Entwicklung Europas erscheinen: erstens das Voranstellen der geopolitischen Interessen der EU, zweitens die Rückbesinnung auf die Wirtschaftsmacht Europas und drittens die nachhaltige Stärkung im Inneren der Union.
Zum ersten Punkt hielt die Europaministerin fest, dass die EU ihre eigenen Interessen in den Vordergrund rücken müsse – was Edtstadler mit "Europe first" umriss. Dies bedeute etwa, dass Abhängigkeiten von Russland oder China reduziert und stattdessen die Beziehungen zu jenen Ländern und Regionen, welche die europäischen Werte und den "European Way of Life" teilen, weiter vertieft werden sollten. Als Beispiele nannte sie die Westbalkan-Staaten, die Stabilität benötigen und nicht der Einflusssphäre anderer Akteurinnen und Akteure überlassen werden dürften. Die rasche Annäherung der Länder des Westbalkans an die Europäische Union sei eine Frage der Sicherheit, aber auch der Glaubwürdigkeit. Zudem müssten die Beziehungen zur Schweiz und zum Vereinigten Königreich vertieft werden. Edtstadler betonte auch den Ausbau der Kapazitäten der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie einen funktionierenden Außengrenzschutz als geopolitische Prioritäten. "Der Strategische Kompass, der Aktionsplan der EU zur effektiven Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ist ein guter Wegweiser", hob Edtstadler hervor. Weiters müsse die Abhängigkeit von Rohstoffen reduziert werden: von der Energie bis zu seltenen Erden. Das Ziel sei der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Erleichterung nachhaltiger Rohstoffgewinnung.
Eine "Rückbesinnung auf die Wirtschaftsmacht Europas" sei der zweite wesentliche Faktor für die künftige Entwicklung der EU, betonte Edtstadler: "Die Europäische Union als größter Binnenmarkt der Welt wird aktuell wirtschaftlich von China und den USA abgehängt. Wir müssen die Trendumkehr schaffen, die Potenziale unseres Wirtschaftsraums wieder voll ausschöpfen, bestehende Barrieren abbauen und den Binnenmarkt vollenden. Unser Anspruch muss es sein, Weltmeister der Innovation, 'Champion' der Wertschöpfung und Vorreiter in puncto höchste Lebensqualität zu sein." Aktuell sei die EU ein "Weltmeister bei der Regulierung, teilweise der Überregulierung". Europa müsse aber ein "Kontinent der Chancen" sein und sich nicht an den Risken orientieren – sei es im Bereich Klimawandel, im digitalen Raum oder bei neuen Technologien. "Innovationsförderung statt Innovationshemmung" sei gefordert, fasste die Europaministerin den Anspruch zusammen, die Europäische Union an die Weltspitze zu bringen. In Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern sei auch häufig auf das Problem des Fachkräftemangels hingewiesen worden. "Um die Potenziale unseres Binnenmarktes voll ausschöpfen zu können, müssen wir die Einwanderungsmöglichkeiten für dringend benötigte, hochqualifizierte Fachkräfte deutlich erleichtern", so Edtstadler, die sich für einen "noch flexibleren, europäischen Arbeitsmarkt" aussprach. In Fragen der Preisstabilität seien die Europäische Zentralbank und ihre Zinspolitik gefordert; zudem müssten möglichst rasch Schritte für eine Rückkehr zu den Maastricht-Kriterien gesetzt werden – auch im Hinblick auf künftige Generationen, die keinen Schuldenberg erben sollten.
Als dritten und letzten Punkt forderte Europaministerin Edtstadler eine "nachhaltige Stärkung im Inneren Europas". Für eine breite Akzeptanz der europäischen Institutionen müssten sich die europäischen politischen Parteien dazu durchringen, das System der Spitzenkandidaten in den Verträgen zu verankern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen und Bedrohungen sei es besonders wichtig, dass die Europäische Union "geeint ist und unter allen Umständen geeint bleibt". Dafür brauche es starke Institutionen, die auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Auch wenn es "unrealistisch" erscheinen möge, wäre die Einigung auf einen ständigen Sitz des Europäischen Parlaments in Brüssel oder Straßburg wünschenswert. "Ich trete auch dafür ein, dass wir bei einer Kommissarin oder einem Kommissar pro Mitgliedstaat bleiben." Weiters sollten die Rechtstaatlichkeitskonditionalität in den Verträgen verankert und Lösungen für die Artikel-7-Verfahren identifiziert werden, so Edtstadler. Als bedeutsame "kommunikative Brücke" zwischen den europäischen Institutionen in Brüssel oder Straßburg und den Herausforderungen und Anliegen vor Ort seien Initiativen wie jene der Europa-Gemeinderätinnen und Europa-Gemeinderäte in Österreich als "Erfolgsprojekt" zu sehen und eine europaweite Verankerung anzudenken.
Abschließend betonte die Europaministerin, dass die Europäische Union "zweifellos eine Erfolgsgeschichte" sei und "alle Krisen und Herausforderungen gleichzeitig auch eine Chance darstellen, die EU gemeinsam weiterzuentwickeln. Wir müssen Lösungen für die Gegenwart und Antworten für die Zukunft finden." In diesem Sinne rief Edtstadler dazu auf: "Lasst uns ein neues, besseres Europa schmieden!"
Bundeskanzler außer Dienst, Wolfgang Schüssel: "Die EU im Inneren stärken, um auch nach außen geeint auftreten zu können"
An die Rede von Europaministerin Edtstadler schloss sich eine Panel-Diskussion mit Wolfgang Schüssel, moderiert vom Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE), Paul Schmidt, an, die in eine lebhafte Diskussion mit Studierenden überging. Klimawandel, Rechtstaatlichkeit, die Partizipation junger Menschen – die Themenvielfalt war breit und bestätigte einmal mehr das große Interesse der Österreicherinnen und Österreicher an der EU-weiten Zukunftsdebatte sowie deren Diskussionsfreude.
Wolfgang Schüssel strich hervor, dass der – nun etwa von Mitgliedern des Europäischen Parlaments geäußerte – Wunsch nach der Einberufung eines formellen Konvents als Follow-Up zur EU-Zukunftskonferenz Vor- und Nachteile mit sich bringen würde. Vielmehr sollte sich die Union darauf konzentrieren, was "im Rahmen der geltenden Verträge" möglich sei. "Gerade im Hinblick auf die Krisen, mit denen die EU konfrontiert ist, muss sie das tun, was jetzt notwendig ist", insbesondere in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Österreich sei seit seinem Beitritt 1995 "innerhalb der EU nicht neutral, sondern im Ernstfall solidarisch", strich Schüssel hervor. Angesichts der zahlreichen aktuellen "Außenbedrohungen" sollte die EU alles daransetzen, "im Inneren Spannungen zu mildern, statt diese zu verstärken", so der ehemalige Bundeskanzler – dies betreffe etwa auch die Situation hinsichtlich Rechtsstaatlichkeit in einigen EU-Mitgliedsländern. Der Krieg in der Ukraine führe jedenfalls deutlich vor Augen, dass "die europäische Integration, die Ideen von 'Gründungsvätern' wie Jean Monnet überlebenswichtig sind für unseren Kontinent".
Gefragt nach dem größten "Erfolg" der EU-Zukunftskonferenz strich Europaministerin Edtstadler in der Podiumsdiskussion hervor, dass diese zu "viel mehr Gesprächen über die Union" geführt habe – "allein das ist als Erfolg zu werten". Nicht alle Ideen seien umsetzbar und man dürfe diesbezüglich auch keine unrealistischen Erwartungen wecken. Insbesondere die Einbindung junger Menschen sei ihr als Europaministerin allerdings ein "Herzensanliegen", so Edtstadler, die in diesem Zusammenhang auf das Wahlalter von 16 Jahren in Österreich verwies, das als "Best Practice"-Beispiel auch in anderen EU-Staaten umgesetzt werden sollte. Die EU sei ein "Kontinent der Einheit in der Vielfalt mit unglaublicher Lebensqualität", dies gelte es zu erhalten. Je nach Aktualität der Themen und der geographischen Lage gebe es "unterschiedliche Betroffenheiten" in den Mitgliedstaaten, diese gelte es zu respektieren. Gerade der Krieg in der Ukraine habe jedoch gezeigt, dass die wesentliche Stärke der EU in ihrer Einheit und Entschlossenheit liege. Die "Konferenz zur Zukunft Europas" gehe zwar zu Ende, doch die Diskussion hinsichtlich der Umsetzung von Reformen würde "nun erst beginnen".