Außerordentliche Tagung der Energieministerinnen und -minister: Einigung auf Sofortmaßnahmen zur Senkung der Energiepreise

Einsparziele für den Stromverbrauch, Erlös-Obergrenze für Stromerzeuger mit geringeren Kosten, Solidaritätsbeitrag auf der Grundlage von Überschussgewinnen – Klimaschutzministerin Gewessler: "Die Versorgungssicherheit ist die zentrale Frage, die wir lösen müssen"

BM Gewessler bei Tagung der Energieminister
Foto: Europäische Union

Im Rahmen einer erneuten außerordentlichen Tagung des Rates "Verkehr, Telekommunikation und Energie" (Energie) konnten die für Energie zuständigen Ministerinnen und Minister der 27 EU-Mitgliedstaaten am 30. September 2022 eine allgemeine Ausrichtung zu Vorschlägen der Kommission als Reaktion auf die hohen Energiepreise erzielen. Dazu zählen die Reduktion des Stromverbrauchs, die Begrenzung von Markteinkommen/Erlösen von so genannten "inframarginalen" Stromproduzenten sowie die Einhebung einer befristeten Solidaritätsabgabe auf Überschussgewinne in der fossilen Industrie. Die Mitglieder des Rates forderten die Europäische Kommission auch auf, möglichst rasch Vorschläge zur Senkung der hohen Gaspreise vorzulegen. Zudem informierten die betroffenen Staaten Dänemark, Schweden und Deutschland über die jüngst entdeckten Lecks in den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2.

Klimaschutzministerin Gewessler: "Elektrizitätsmarkt kommt an seine Grenzen"

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, die Österreich bei der außerordentlichen Ratstagung vertrat, betonte: "Wir müssen schauen, dass wir in Europa den Gaspreis reduzieren. Wir können den Gasverbrauch in Europa nicht weiter anheizen. Ich werde beim gemeinsamen Gaseinkauf ein gemeinsames Vorgehen einfordern. Wir müssen unsere Marktkraft und unsere Einkaufsmacht bündeln. Die zentrale Frage, die wir lösen müssen, ist die Versorgungssicherheit. Das ist die oberste Priorität für alle Energieministerinnen und Minister in der Europäischen Union. Wir haben eine Situation in Europa, wo der Elektrizitätsmarkt an seine Grenzen kommt, wenn er nicht schon weit über der Grenze ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir rasch zu weiteren Vorschlägen kommen, wie wir den Gas- und Strompreis weiter voneinander entkoppeln. Es ist auch angebracht, dass Unternehmen, die mit fossilen Energien durch diesen Krieg gerade enorme Profite machen, ihren Beitrag leisten."

Stellvertretend für den aktuellen tschechischen EU-Ratsvorsitz erklärte der tschechische Minister für Industrie und Handel, Jozef Síkela: "Dies sind außergewöhnliche Zeiten, und wir arbeiten außerordentlich schnell, koordiniert und solidarisch daran, gegen die von Russland betriebene anhaltende Instrumentalisierung der Energieversorgung als Druckmittel eine geschlossene Front zu bilden. Die erzielte Einigung wird die europäischen Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen entlasten. Die Mitgliedstaaten werden für eine Abflachung der Strombedarfskurve zu Spitzenzeiten sorgen, was unmittelbare positive Auswirkungen auf die Preise haben wird. Sie werden Überschussgewinne aus dem Energiesektor an jene Kundinnen und Kunden verteilen, die Schwierigkeiten haben, ihre Rechnungen zu bezahlen."

Details zur am 30. September 2022 erzielten Einigung

Die Ministerinnen und Minister haben am 30. September 2022 eine Einigung über eine Verordnung zur Reaktion auf die hohen Energiepreise erzielt, die folgende Punkte umfasst:

  • Reduktion des Stromverbrauchs: Die Mitglieder des Rates einigten sich auf ein freiwilliges Gesamtreduktionsziel von 10 Prozent des Bruttostromverbrauchs und ein verbindliches Reduktionsziel von 5 Prozent des Stromverbrauchs in Spitzenzeiten. Die EU-Mitgliedstaaten sollen die 10 Prozent ihrer Spitzenzeiten ermitteln, zu denen sie die Nachfrage zwischen 1. Dezember 2022 und 31. März 2023 senken werden. Dabei steht es den Mitgliedstaaten frei, die geeigneten Maßnahmen zur Verbrauchsreduzierung für beide Ziele in diesem Zeitraum zu wählen.
  • Begrenzung der Markteinkommen der so genannten "inframarginalen" Stromproduzenten: Die Markterlöse für Stromerzeuger (einschließlich Zwischenhändlern), welche Technologien mit geringeren Kosten wie erneuerbare Energien, Kernenergie oder Braunkohle zu Grenzkosten unter dem von den teureren "marginalen" Erzeugern gesetzten Preisniveau einsetzen, sollen auf ein Cap von 180 Euro pro Megawattstunde begrenzt werden. Diese "inframarginalen" Erzeuger haben in den vergangenen Monaten zu relativ stabilen Betriebskosten außerordentliche Erlöse erzielt, da teurere Gaskraftwerke den Großhandelsstrompreis, den sie erhalten, in die Höhe getrieben haben. Dies ist unter anderem auf Kohle und Gas als preisbestimmende "marginale" Energiequellen zurückzuführen, die derzeit den Endpreis für Strom bestimmen. Die Höhe der Obergrenze soll die Rentabilität der Betreiberinnen und Betreiber (Deckung ihrer Investitions- und Betriebskosten) erhalten und zugleich auch Investitionen in erneuerbare Energien nicht behindern. Erlöse oberhalb der Obergrenze werden von den Mitgliedstaaten abgeschöpft und verwendet, um die Verbraucherinnen und Verbraucher bei der Senkung ihrer Energiekosten zu unterstützen.

    Dabei haben die Mitgliedstaaten einige Flexibilitäten eingeführt, um ihren nationalen Gegebenheiten und den auf nationaler Ebene bestehenden Maßnahmen Rechnung zu tragen. Dazu gehört unter anderem die Möglichkeit, eine höhere Erlösobergrenze festzulegen, Maßnahmen zu ergreifen, welche die Markterlöse weiter begrenzen, zwischen Technologien zu differenzieren und Begrenzungen für die Markterlöse anderer Akteurinnen und Akteure, einschließlich Händlerinnen und Händler, anzuwenden. In Situationen, in welchen die Nettoimportabhängigkeit eines Mitgliedstaates gleich oder höher als 100 Prozent ist, soll zum 1. Dezember 2022 ein Abkommen abgeschlossen werden, um die überschüssigen Einnahmen angemessen mit dem exportierenden Mitgliedstaat zu teilen. Andere Mitgliedstaaten sind ebenfalls aufgefordert, solche Abkommen zu schließen.
  • Einhebung einer obligatorischen befristeten Solidaritätsabgabe auf die Überschussgewinne in der fossilen Industrie: Diese gilt für Tätigkeiten im Bereich der fossilen Industrie (Erdöl, Erdgas, Kohle, Raffinerien), für welche die Erlösobergrenze für "inframarginale" Erzeuger nicht gilt. Der Solidaritätsbeitrag wird auf die steuerpflichtigen Gewinne berechnet, die nach den nationalen Steuervorschriften im Jahr 2022 und/oder 2023 beginnenden Steuerjahr ermittelt werden und die über einem Anstieg von 20 Prozent der durchschnittlichen jährlichen steuerpflichtigen Gewinne seit 2018 liegen. Der Solidaritätsbeitrag wird zusätzlich zu den regulären Steuern und Abgaben erhoben, die in den Mitgliedstaaten gelten. Die Mitgliedstaaten können nationale Maßnahmen beibehalten, die der Solidaritätsabgabe gleichwertig sind, sofern sie mit den Zielen der Verordnung vereinbar sind und mindestens vergleichbare Einnahmen erzielen. Dabei sollen die Mitgliedstaaten die Einnahmen aus dem Solidaritätsbeitrag verwenden, um Haushalte und Unternehmen finanziell zu unterstützen und die Auswirkungen der hohen Einzelhandelsstrompreise abzumildern.
  • Maßnahmen für KMU-Endkundinnen und Endkunden: Die Mitgliedstaaten können vorübergehend einen Preis für die Lieferung von Strom an kleine und mittlere Unternehmen (KMU) festlegen, um KMU weiterhin zu unterstützen, die mit hohen Energiepreisen zu kämpfen haben. Die Mitgliedstaaten sind ferner übereingekommen, dass sie ausnahmsweise und vorübergehend unterhalb der Kosten liegende Strompreise festlegen können.
Stromzähler
Foto: Europäische Union

Europäische Kommission soll möglichst rasch Vorschläge zur Senkung der hohen Gaspreise vorlegen

Weiters hielten die Ministerinnen und Minister einen Meinungsaustausch zu Politik-Optionen zur Senkung der hohen Gaspreise und forderten die Europäische Kommission auf, dazu so rasch wie möglich Vorschläge vorzulegen. Erste Arbeiten bis zur informellen Tagung der EU-Staats- und Regierungsspitzen am 7. Oktober 2022 in Prag sollten die Basis für Legislativvorschläge bilden, welche die Kommission schnell vorlegen wolle. Die Kommission hat bereits seit der außerordentlichen Tagung des Rates am 9. September 2022 mit der Ausarbeitung möglicher Maßnahmen für koordinierte Kriseninterventionen auf dem Gasmarkt begonnen, in deren Rahmen es auch um Eingriffe in die Gaspreise und die Stärkung der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten geht. Die Ministerinnen und Minister unterstrichen am 30. September 2022 die Notwendigkeit einer Reaktion der EU, die darauf ausgerichtet sein sollte, den Einfluss Russlands auf dem europäischen Gasmarkt zu begrenzen, Lieferantinnen und Lieferanten und Versorgungswege zu diversifizieren, übermäßige Preisschwankungen abzumildern sowie den von europäischen Kundinnen und Kunden gezahlten Preis zu senken, während die Energiewende fortgesetzt wird.

Information über Lecks in den Gas-Pipelines

Dänemark, Schweden und Deutschland informierten die Mitglieder des Rates über die jüngst entdeckten Lecks in den Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2. Dazu hatte sich der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, am 28. September 2022, im Namen der Europäischen Union "zutiefst besorgt" geäußert: "Sicherheits- und Umweltbedenken haben höchste Priorität. Diese Vorfälle sind kein Zufall und betreffen uns alle. Sämtliche verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass diese Lecks das Ergebnis einer vorsätzlichen Handlung sind. Wir werden alle Untersuchungen unterstützen, die darauf abzielen, vollständige Klarheit darüber zu erlangen, was passiert ist und was dazu geführt hat. Zugleich werden wir weitere Schritte unternehmen, um unsere Resilienz im Bereich der Energieversorgungssicherheit zu erhöhen. Jede vorsätzliche Störung der europäischen Energieinfrastruktur ist völlig inakzeptabel und wird eine entschlossene und gemeinsame Reaktion nach sich ziehen."

Anwendung der Maßnahmen und nächste Schritte

Die am 30. September 2022 beschlossenen Maßnahmen sind vorübergehend und außerordentlicher Natur. Sie sollen von 1. Dezember 2022 bis 31. Dezember 2023 gelten. Die Ziele für die Reduzierung des Energieverbrauchs gelten bis 31. März 2023 – die verbindliche Obergrenze für Markterlöse bis 30. Juni 2023. Die Mitgliedstaaten haben gesonderte Ausnahmen für Zypern und Malta vorgesehen. Die EU-Mitgliedstaaten haben die Verordnung am 6. Oktober 2022 förmlich angenommen und im Amtsblatt der EU veröffentlicht, sie trat am darauffolgenden Tag in Kraft.

Hintergrund: Maßnahmen der EU in Folge des Anstiegs der Energiepreise

Die EU sieht sich aktuell einem ungewöhnlichen Anstieg der Energiepreise gegenüber, der sich durch die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine verschärft hat. Der Anstieg hängt mit dem weltweiten Anstieg der Großhandelspreise für Energie zusammen und begann 2021 infolge der Covid‑19-Pandemie sowie der wachsenden internationalen Nachfrage. Die russische Invasion in der Ukraine und die klimatischen Bedingungen haben die Lage noch verschärft. Die EU-Länder koordinieren ihre Bemühungen, um die Energieversorgung der EU zu sichern und die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wirtschaft abzumildern.

In diesem Zusammenhang hat die Europäische Kommission – im Anschluss an die politischen Leitlinien des Rates bei der außerordentlichen Tagung des Rates Energie vom 9. September 2022 – am 14. September 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über eine Notfallintervention zur Bewältigung hoher Energiepreise vorgelegt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte in ihrer "Rede zur Lage der Union" am 14. September 2022 angekündigt, dass die Europäische Kommission gegen die jüngsten dramatisch gestiegenen Energiekosten vorgehen würde. Der Vorschlag ergänzt bestehende EU-Initiativen und Rechtsvorschriften, die in den vergangenen Monaten verabschiedet worden sind, um Energie erschwinglich zu halten und die Energieversorgungssicherheit der EU bestmöglich zu gewährleisten. Zu diesen Initiativen und Rechtsvorschriften zählen beispielsweise die Verordnung über die freiwillige Senkung der Gasnachfrage um 15 Prozent, die Verordnung über die Gasspeicherung, die Schaffung einer EU-Energieplattform und "Outreach"-Initiativen zur Diversifizierung der Versorgungsquellen. Die Maßnahmen ergänzen zudem die im Rahmen von "REPowerEU" vorgeschlagenen Initiativen.

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