35 Jahre "Paneuropäisches Picknick": Als der "Eiserne Vorhang" durchlässig wurde

Zum 35. Mal jährt sich am 19. August 2024 das "Paneuropäische Picknick" – Grenze zwischen Österreich und Ungarn wurde 1989 für einige Stunden symbolisch geöffnet – Flucht hunderter DDR-Bürgerinnen und -Bürger

Gedenkstätte Paneuropäisches Picknick
Foto: Iron Curtain Trail, Burgenland Tourismus

Im Rahmen des "Paneuropäischen Picknicks" am 19. August 1989 in der Nähe von St. Margarethen im Burgenland (Österreich) beziehungsweise von Sopronkőhida (Deutsch: Steinambrückl; Ungarn) wurde die Grenze zwischen Österreich und Ungarn – und damit die Grenze zwischen einem Land im Westen Europas und einem Staat des damaligen "Warschauer Pakts" – für einige Stunden symbolisch geöffnet. Dieses Zeitfenster nutzten hunderte Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die ihren Urlaub in Ungarn verbracht hatten, für die Flucht. Es handelte sich um einen der größten Flüchtlingsströme aus Ostdeutschland seit dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961. Veranstaltet wurde diese Friedensdemonstration von Mitgliedern des oppositionellen Ungarischen Demokratischen Forums (MDF) und der Paneuropa-Union.

Ein Picknick und seine Folgewirkungen

Bereits ab Jahresbeginn 1989 hatten die ungarischen Behörden begonnen, an der Grenze zu Österreich die Grenzkontrollen zu lockern. Am 27. Juni 1989 war es bei Klingenbach/Sopron zu einem bedeutungsvollen Treffen gekommen: Die damaligen Außenminister beider Staaten – Gyula Horn (Ungarn) und Alois Mock (Österreich) – durchschnitten zum Zeichen der Grenzöffnung symbolisch ein Stück des Stacheldrahtzauns und damit einen Teil des "Eisernen Vorhangs", der jahrzehntelang die Trennlinie zwischen West- und Osteuropa dargestellt hatte. Bewacht blieb die Grenze zwischen Ungarn und Österreich allerdings weiterhin. Ungarn öffnete am 11. September 1989 ab Mitternacht seine Westgrenze für jene DDR-Bürgerinnen und -Bürger, die in Ungarn ausgeharrt hatten. Auch über die westdeutschen Vertretungsbehörden in Budapest, Prag und Warschau gelang tausenden Menschen die Flucht, nachdem diese wochenlang auf dem Botschaftsgelände gewartet hatten, bis ihnen die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland ermöglicht wurde.

Diese Aktionen hatten Signalwirkung und beschleunigten die als "Fall des Eisernen Vorhangs" bezeichnete Wende in Osteuropa: Am 9. November 1989 wurde die Berliner Mauer geöffnet, in den Tagen danach die innerdeutsche Grenze. Ende des Jahres 1989 öffnete sich die Grenze zur Tschechoslowakei. In der Folge brach das kommunistische System in allen Staaten des ehemaligen "Warschauer Pakts" zusammen. Die Ereignisse führten schließlich am 3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die Wende in Osteuropa, der Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung Deutschlands in den Jahren 1989/1990 stellen die wichtigste politische Zäsur seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa dar.

Das "Paneuropäische Picknick" gilt als wesentlicher Meilenstein für all diese Vorgänge. In der Folge war für die Staaten im Osten Europas der Weg frei für die EU-Mitgliedschaft: Am 1. Mai 2004 traten 10 Länder der Europäischen Union bei. Die Erweiterungsrunde machte – neben Zypern und Malta – die folgenden Staaten des ehemaligen "Ostblocks" zu EU-Mitgliedstaaten: Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakei, Slowenien, Polen sowie die 3 baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen. Rumänien und Bulgarien traten der EU am 1. Jänner 2007 bei, Kroatien folgte am 1. Juli 2013.

Vom "Eisernen Vorhang" zum "Grünen Band"

Jahr für Jahr finden am 19. August an der Stelle des Grenzdurchbruchs Gedenkfeiern statt. An der Stelle, wo 1989 das Grenztor von den Flüchtenden durchbrochen wurde, erinnert heute ein Kunstwerk des ungarischen Künstlers Miklós Melocco an die damaligen Ereignisse. In die Kalksteinskulptur mit dem Titel "Áttörés – Umbruch" ist auch ein Stück der Berliner Mauer eingefügt. Neben einem mit Tafeln ausgeschilderten Grenzlehrpfad mit Wachturm erinnern eine Reihe von Kunstwerken in verschieden Ausdrucksformen an das Geschehen, darunter ein Brunnenhaus, eine Freiheitsglocke sowie das "Denkmal der geöffneten Türen". Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums des "Paneuropäischen Picknicks" wurde zudem im Jahr 2019 auf ungarischer Seite ein Besucherzentrum fertiggestellt, in dem die Geschehnisse interaktiv erlebbar gemacht werden.

Entlang des ehemaligen "Eisernen Vorhangs" verläuft in weiten Teilen eine Kette von Naturschutzgebieten, das "Grüne Band Europa" ("European Green Belt"). Es hat eine Gesamtlänge von über 12.500 Kilometern und quert 24 Länder, darunter 16 EU-Mitgliedstaaten. In Österreich erstreckt sich das "Grüne Band" über knapp 1.300 Kilometer entlang der Staatsgrenze – von Oberösterreich, Niederösterreich und dem Burgenland über die Steiermark bis nach Kärnten.

Auf die Spuren von Geschichte, Kultur und Natur kann man sich auch mit dem "EuroVelo 13" begeben: Die 10.550 Kilometer lange Fahrradstrecke, die zusätzlich die Bezeichnung "Iron Curtain Trail" (ICT) – auf Deutsch: "Strecke des Eisernen Vorhangs" –  trägt, führt durch 20 Länder, darunter 14 EU-Mitgliedstaaten. Auf einer Gesamtlänge von 287,2 Kilometern können Interessierte im Burgenland und Ungarn an historisch wichtigen Stätten mehr über die europäische Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfahren.

Karte des Iron Curtain Trail der sich durch Europa zieht
Foto: EuroVelo 13

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