Europäische Kommission veröffentlicht ersten Bericht zur Rechtstaatlichkeit
Der erste Bericht über die Rechtsstaatlichkeit, den die Europäische Kommission am 30. September veröffentlicht hat, nimmt positive und negative Entwicklungen in der EU unter die Lupe.
Der erste jährliche Bericht über Rechtsstaatlichkeit ist eine der wichtigsten Initiativen des Arbeitsprogramms der Kommission für 2020 und Teil des umfassenden europäischen Rechtsstaatlichkeitsmechanismus, der in den politischen Leitlinien von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt worden ist. Der am 30. September 2020 präsentierte Bericht ist das Ergebnis eines Dialogs mit den nationalen Behörden und Interessensgruppen und bietet zum einen eine Übersicht zur Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU und zum anderen eine qualitative Bewertung der Situation in den einzelnen Mitgliedstaaten.
Ziel des neuen Rechtsstaatlichkeitsberichts ist es, das bestehende EU-Instrumentarium um ein neues Präventionsinstrument zu erweitern und eine integrative Debatte und Rechtsstaatlichkeitskultur in der gesamten EU in Gang zu setzen. Er soll allen Mitgliedstaaten Einblicke darüber verschaffen, wie Herausforderungen (präventiv) angegangen werden können, wie sie aus den Erfahrungen des jeweils anderen lernen können und wie die Rechtsstaatlichkeit unter vollständiger Berücksichtigung der nationalen Verfassungssysteme und -traditionen weiter gestärkt werden kann. Beim Rechtsstaatlichkeitsbericht handelt es sich um keinen Sanktionsmechanismus.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte: "Der Rechtsstaat schützt die Menschen vor dem Recht des Stärkeren. Wenngleich wir in der EU sehr hohe Standards in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit haben, besteht an verschiedenen Stellen Handlungsbedarf. Die Europäische Kommission wird weiterhin mit den Mitgliedstaaten an Lösungen arbeiten, um die alltäglichen Rechte und Freiheiten der Menschen zu gewährleisten." EU-Justizkommissar Reynders ergänzte: "Der neue Bericht über die Rechtsstaatlichkeit läutet den Beginn eines offenen und regelmäßigen Dialogs mit den einzelnen Mitgliedstaaten ein, in dem wir bewährte Verfahren austauschen und Herausforderungen antizipieren können, bevor sie sich zu Problemen auswachsen."
Europaministerin Edtstadler: Einhaltung rechtsstaatlicher Spielregeln ist Voraussetzung für Zusammenarbeit in der EU
Europaministerin Karoline Edtstadler begrüßte den Bericht: "Die EU muss über Mechanismen verfügen, um die Einhaltung ihrer Grundwerte wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte durch alle Mitgliedstaaten sicherzustellen. Der Rechtsstaatlichkeitsbericht ist ein wichtiger Schritt. Die Einhaltung rechtsstaatlicher Spielregeln und unserer Grundwerte durch alle EU-Mitgliedstaaten ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Wir treten weiter dafür ein, dass die Rechtsstaatlichkeit mit dem EU-Budget verzahnt wird."
Analyse der 4 Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit
Die Analyse geht auf vier Eckpfeiler der Rechtsstaatlichkeit ein:
- die nationalen Justizsysteme,
- die Rahmen für die Korruptionsbekämpfung,
- Medienpluralismus und -freiheit,
- sowie sonstige institutionelle Aspekte im Zusammenhang mit der Gewaltenteilung.
Der Bericht bezieht Beiträge aller Mitgliedstaaten sowie nationaler Interessensträger ein und beleuchtet auch einschlägige Entwicklungen, die im Zusammenhang mit den von den Mitgliedstaaten aufgrund der aktuellen Covid-19-Krise ergriffenen Notmaßnahmen eingetreten sind.
Wichtigste Erkenntnisse der Kommission zur aktuellen Lage der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten
Eckpfeiler 1: Nationale Justizsysteme
Eine Reihe von Mitgliedstaaten, darunter auch solche, in denen die Unabhängigkeit der Justiz als hoch oder sogar sehr hoch angesehen wird, führt Reformen durch, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken und den Einfluss der Exekutive oder Legislative auf die Justiz zu verringern. Gleichzeitig zeigen die länderspezifischen Bewertungen, dass die Unabhängigkeit der Justiz in einigen Mitgliedstaaten weiterhin Anlass zur Sorge gibt, aufgrund deren bei einigen auch Vertragsverletzungsverfahren bzw. Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 EUV eingeleitet wurden. Die Anpassung der Justizsysteme an das digitale Zeitalter stellt ebenfalls eine EU-weite Herausforderung dar; die Coronavirus-Pandemie hat in diesem Zusammenhang zusätzliche Impulse für die Beschleunigung der erforderlichen digitalen Reformen gegeben.
Eckpfeiler 2: Rahmenbedingungen zur Korruptionsbekämpfung
Einige Mitgliedstaaten haben bereits umfassende Strategien zur Korruptionsbekämpfung verabschiedet, andere arbeiten solche derzeit aus. Hierbei bleibt eine effektive Implementierung und Überwachung der Schlüssel, um wirksame Fortschritte sicherzustellen. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben auch Maßnahmen zur Stärkung der Korruptionsprävention und -integrität getroffen oder sehen dies vor. Andere Länder haben Maßnahmen ergriffen, um die Kapazitäten ihres Strafjustizsystems zur Korruptionsbekämpfung auszubauen. Andererseits stellt die Wirksamkeit strafrechtlicher Ermittlungsverfahren, die Strafverfolgung und Verurteilung in Korruptionsfällen, einschließlich Korruption auf hoher Ebene, in mehreren Mitgliedstaaten nach wie vor eine Herausforderung dar.
Eckpfeiler 3: Medienfreiheit und -pluralismus
EU-Bürgerinnen und Bürger genießen im Großen und Ganzen hohe Standards in Bezug auf Medienfreiheit und -pluralismus. Insbesondere während der Coronavirus-Pandemie haben sich Medien als wesentlich für die Bekämpfung von Desinformation erwiesen. Der Bericht wirft jedoch Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit und angemessener Ressourcen sowie des Risikos einer Politisierung der Medienbehörden in einigen Mitgliedstaaten auf. In den Bewertungen einiger Mitgliedstaaten wurden zudem Fälle aufgezeigt, in denen ernsthafte Bedenken hinsichtlich einer politischen Einflussnahme auf die Medien bestehen. Journalistinnen und Journalisten sowie andere Medienakteure sind in Bezug auf ihre Arbeit in einer Reihe von Mitgliedstaaten zudem Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt. Allerdings haben auch einige Länder Praktiken entwickelt sowie Strukturen und Maßnahmen zur Unterstützung und zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten eingerichtet.
Eckpfeiler 4: Institutionelle Gewaltenteilung
Institutionelle Gewaltenteilung bildet den Kern der Rechtsstaatlichkeit und stellt sicher, dass die von einer staatlichen Behörde ausgeübte Macht einer demokratischen Kontrolle unterliegt. In einer Reihe von Mitgliedstaaten wurden Verfassungsreformen eingeleitet, um die institutionelle Gewaltenteilung zu stärken. Viele Mitgliedstaaten haben auch systematische Verfahren festgelegt, um die Interessensgruppen einzubeziehen und sicherzustellen, dass Strukturreformen das Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Diskussion sind. Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass ein übermäßiger Einsatz von beschleunigten Gesetzgebungsverfahren bzw. Notfallgesetzen zu rechtsstaatlichen Bedenken führen kann. In der gesamten EU ist die Zivilgesellschaft nach wie vor ein wichtiger Akteur bei der Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit und in den meisten Mitgliedstaaten herrscht ein günstiges und unterstützendes Umfeld für diese. In einigen Mitgliedstaaten sieht sich die Zivilgesellschaft allerdings durch Rechtsvorschriften, die den Zugang zu ausländischen Finanzquellen einschränken, oder wegen Hetzkampagnen mit ernsthaften Herausforderungen konfrontiert.
Sofortmaßnahmen im Zusammenhang mit Covid-19
Die Coronavirus-Pandemie dauert noch an und in einer Reihe von Mitgliedstaaten sind nach wie vor Notstandsregelungen oder Krisenmaßnahmen in Kraft. Der Bericht verweist auf einige der Probleme, die in den nationalen Debatten aufgetreten sind, sowie auf die rechtlichen und politischen Reaktionen auf die Krise. Die Kommission wird die Überwachung der Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechte haben, fortsetzen, bis diese auslaufen.