Kohäsionsbericht analysiert territoriale und soziale Ungleichheiten in der EU
Von der Europäischen Kommission vorgelegter Bericht analysiert EU-Regionen nach Indikatoren – Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in der EU steigt – Zahl der von Armut betroffenen Menschen geht zurück – Bevölkerung altert: 34 Prozent leben in einer schrumpfenden Region
Die Europäische Kommission hat am 9. Februar 2022 ihren achten Kohäsionsbericht in Hinblick auf den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Europäischen Union veröffentlicht. Der Bericht wird alle 3 Jahre herausgegeben, beurteilt die sozioökonomische Lage der EU und bietet einen Überblick über alle EU-Regionen anhand wirtschaftlicher, sozialer und territorialer Indikatoren.
EU-Kommissar Schmit: "Die Kohäsionspolitik hilft uns, ein starkes soziales Europa aufzubauen"
Die für Kohäsion und Reformen zuständige Kommissarin, Elisa Ferreira, erklärte dazu: "Der achte Kohäsionsbericht zeigt ganz deutlich, wie wichtig die Kohäsionspolitik für die Förderung der Kohärenz und die Verringerung von Ungleichheiten zwischen Ländern und Regionen in der EU ist. Durch eine Bestandsaufnahme der Gebiete, in denen die EU-Mitgliedstaaten und Regionen mehr für eine Verbesserung der Situation tun müssen, können wir dank des Berichts auf den Lehren der Vergangenheit aufbauen, um besser für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein. Wir müssen die Annahme und Durchführung der kohäsionspolitischen Programme für den Zeitraum von 2021 bis 2027 beschleunigen, damit wir die Regionen weiterhin bei der Erholung von der Pandemie und bei einem rundum erfolgreichen Übergang zu einem 'grünen' und digitalen Europa unterstützen und langfristiges Wachstum gewährleisten können."
Der für Beschäftigung und soziale Rechte zuständige Kommissar, Nicolas Schmit, ergänzte: "Die Pandemie hat das Risiko von Ungleichheiten in der EU verstärkt, und die Kohäsionspolitik ist eines unserer wichtigsten Instrumente, mit denen wir uns gegen diesen Trend stemmen und in Menschen investieren. Die Kohäsionspolitik hilft uns, unser Ziel zu erreichen und ein starkes soziales Europa aufzubauen, das auf Inklusion und Gerechtigkeit beruht."
Erkenntnisse des achten Kohäsionsberichts der Europäischen Kommission im Detail
Aus dem aktuellen Bericht geht hervor, dass sich die territorialen und sozialen Ungleichheiten zwischen den Regionen in der EU durch die Kohäsionspolitik verringert haben. So könnte das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt (BIP) der weniger entwickelten Regionen dank der Finanzhilfen der Kohäsionspolitik bis 2023 um voraussichtlich 5 Prozent steigen. Laut Bericht konnte die Differenz zwischen dem Pro-Kopf-BIP der am wenigsten entwickelten Regionen und den am stärksten entwickelten Regionen der EU um 3,5 Prozent verringert werden. Des Weiteren sei durch die Kohäsionspolitik den Mitgliedstaaten sowie den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften in Zeiten der Covid-19-Pandemie und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Einbruch rasch die benötigte Unterstützung geboten worden. Die neuen kohäsionspolitischen Programme für den Zeitraum von 2021 bis 2027 sollen auch weiterhin – in enger Abstimmung mit dem EU-Aufbauplan – in Regionen und Menschen investieren.
Die Kohäsionspolitik hat als Investitionsquelle an Bedeutung gewonnen, so eine weitere Erkenntnis des Berichts: Die Kohäsionsmittel (gemessen am Anteil an den gesamten öffentlichen Investitionen) stiegen von 34 Prozent im Programmplanungszeitraum von 2007 bis 2013 auf 52 Prozent im Programmplanungszeitraum von 2014 bis 2020. Seit 2001 holen die weniger entwickelten Regionen in Osteuropa gegenüber jenen in der übrigen EU auf. Gleichzeitig erleben viele Regionen mit durchschnittlichem Einkommen und weniger entwickelte Regionen, insbesondere im Süden und Südwesten der EU, wirtschaftliche Stagnation.
Die Beschäftigung hat laut Bericht zugenommen, aber die regionalen Unterschiede sind größer als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008. Die Wirtschaftskrise führte zu einem deutlichen Anstieg der regionalen Unterschiede in Bezug auf die Beschäftigungs- und Erwerbslosenquoten. Auf EU-Ebene hat sich die Beschäftigungsquote vollständig von der Krise erholt und erreichte im Jahr 2019 mit 73 Prozent der Personen zwischen 20 und 64 Jahren ihren höchsten Wert. Im Vergleich zu den stärker entwickelten Regionen fallen die Beschäftigungsquoten in den weniger entwickelten Regionen um 10 Prozentpunkte niedriger aus. Dieses Gefälle hat sich zwischen 2013 und 2020 nicht verringert, lautet das Fazit des Kohäsionsberichts zum Thema Arbeitsmarkt. Die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen ging laut Bericht zwischen 2012 und 2019 um 17 Millionen zurück.
Die Innovationskluft zwischen den Regionen in Europa hat sich aufgrund mangelnder Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie Schwächen in den Innovationsökosystemen in den am wenigsten entwickelten Regionen vergrößert. Während einige Mitgliedstaaten erheblich aufgeholt haben, hinken viele Regionen, auch in stärker entwickelten Mitgliedstaaten, hinterher. Um hier aufholen zu können, müssten insbesondere die Innovationsverbreitung auf nationaler und regionaler Ebene, Strategien für intelligente Spezialisierung auf regionaler Ebene sowie externe Effekte aus internationalen Handelsverflechtungen und Wertschöpfungsketten gefördert werden, so der Bericht.
Die Bevölkerung in der EU altert und wird in den kommenden Jahren abnehmen: 2020 lebten 34 Prozent der EU-Bevölkerung in einer schrumpfenden Region. Dieser Anteil wird dem Bericht und den darin enthaltenen Vorhersagen zufolge auf 51 Prozent im Jahr 2040 steigen.
Gezielte Investitionen in das Wachstum von Regionen und Städten
Des Weiteren betont der Bericht, dass die Kohäsionspolitik der EU vielen Regionen und Menschen dabei geholfen habe, in ein nachhaltigeres und ausgewogeneres Wachstum mit langfristigem Nutzen zu investieren sowie die digitale Infrastruktur, die allgemeine und berufliche Bildung, die kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) und den "grünen" Wandel zu unterstützen. Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie hätten die Kohäsionspolitik und die damit verbundenen Förderpakete dazu beigetragen, die Herausforderungen und Folgen der Pandemie zu bewältigen, so der Bericht. Im Rahmen von Next GenerationEU und REACT-EU konnten beispielsweise 50,6 Milliarden Euro für die wirtschaftliche Bewältigung der Folgen der Pandemie und für Investitionen in das Wachstum von Regionen und Städten bereitgestellt werden.
Auch in den kommenden Jahren soll die Kohäsionspolitik durch gezielte Konzepte für die Entwicklung sowie ortsbezogene und partnerschaftliche Maßnahmen eine faire und nachhaltige Entwicklung in allen Regionen der EU fördern.
Die nächsten Schritte
Der achte Kohäsionsbericht wird in die Diskussionen im anstehenden Kohäsionsforum am 17. und 18. März 2022 einfließen, bei dem Vertreterinnen und Vertreter von europäischen Institutionen, nationalen, regionalen und lokalen Behörden aller EU-Mitgliedstaaten, Sozial- und Wirtschaftspartner, Nichtregierungsorganisationen sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten von Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zusammenkommen. Auf dem Forum wird erörtert, wie die Kohäsionspolitik sicherstellen kann, dass bei laufenden strukturellen Veränderungen möglichst keine Region zurückgelassen wird und alle Regionen die Vorteile des grünen und digitalen Wandels nutzen können.
Hintergrund: Der Kohäsionsbericht der EU
Der Kohäsionsbericht der EU zeigt eine Momentaufnahme der aktuellen Situation und Entwicklung der Regionen in der EU. Zu diesem Zweck bewertet der Bericht Ungleichheiten zwischen den Regionen, den Stand der Umsetzung im Bereich des grünen und digitalen Wandels und erhebt den Bedarf weiterer Unterstützungsschritte. Mit den gesammelten Daten und Fakten bietet der Kohäsionsbericht einen Überblick für den Programmplanungszeitraum von 2021 bis 2027 und hilft dabei, politische Maßnahmen und Investitionen für ein nachhaltigeres und langfristigeres Wachstum gezielt einzusetzen.
Zur Bestimmung der Regionen in der EU in weniger beziehungsweise stärker entwickelte Regionen, wird die NUTS-Klassifikation (französisch: Nomenclature des unités territoriales statistiques, deutsch: Gemeinsame Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik) herangezogen. Im Rahmen der NUTS-Klassifikation wird jeder EU-Mitgliedstaat in 3 verschiedene Ebenen von Regionen unterteilt, und zwar in die NUTS-Ebenen 1, 2 und 3 (in absteigender Größenordnung von 1 bis 3). Die NUTS-2-Regionen werden in 3 Gruppen unterteilt:
- weniger entwickelte Regionen – in denen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner weniger als 75 Prozent des Durchschnitts der EU beträgt;
- Übergangsregionen – in denen das BIP je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner zwischen 75 und 90 Prozent des Durchschnitts der EU liegt;
- stärker entwickelte Regionen – in denen sich das BIP je Einwohnerin beziehungsweise Einwohner auf mehr als 90 Prozent des Durchschnitts der EU beläuft.