Kogler/Edtstadler: Österreich hat besondere Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens

Präsentation der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus

Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler präsentierte Bundesministerin Karoline Edtstadler die Nationale Strategie gegen Antisemitismus der Bundesregierung im Rahmen einer Pressekonferenz, an der auch der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreich, Oskar Deutsch, und die Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein, teilnahmen. Die Bundesministerin für EU und Verfassung betonte eingangs, dass Antisemitismus "viele Gesichter und Ausprägungen" habe und "der Kampf dagegen ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung", so Edtstadler. Österreich habe eine historische Verantwortung, insbesondere vor dem Hintergrund des dunkelsten Kapitels in der Geschichte, der Shoah. Sie erinnerte an jüngste Angriffe und Gewaltattacken wie jene auf Eli Rosen im Sommer letzten Jahres in Graz und den Terroranschlag im November 2020 in der Wiener Innenstadt, nahe der Synagoge.

Edtstadler: "Gewalt beginnt mit Worten"

"Jüdinnen und Juden wurden in der Geschichte immer wieder zu Feinbildern gemacht. Durch das Internet zieht sich eine Welle an Verschwörungstheorien mit antisemitischen Inhalten. Es macht mir Angst, dass dies von der digitalen in die analoge Welt überschwappt", betonte Edtstadler. Was gestern noch in den sozialen Medien gestanden sei, erlebe man heute auf den Straßen. Es gebe einige Gruppierungen, die den Holocaust verharmlosen. "Als Verfassungsministerin stimme ich dem Recht auf Meinungsfreiheit zu. Aber viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Demonstrationen nehmen in Kauf, dass NS-Parolen verbreitet werden. Gewalt beginnt mit Worten", so die Ministerin.

Koordination der Maßnahmen über Stabstelle – Gesetz zum jüdischen Kulturerbe

Im Jahr 2019 habe die Israelitische Kultusgemeinde rund 550 antisemitische Vorfälle registriert, doppelt so viele wie vor 5 Jahren. Wobei viele Vorfälle aus Scham oder Resignation nicht zur Anzeige gebracht würden. "Wir wollen Antisemitismus an den Rändern und in der Mitte bekämpfen, egal von wo er kommt und egal, ob importiert oder autochthon", verwies die Bundesministerin auf die vorherrschenden Tendenzen. "Mit dem jüdischen Kulturerbegesetz erhalten jüdische Gemeinschaften jährlich jeweils 4 Millionen Euro zur Förderung jüdischen Lebens. Die nun erstellten 38 Maßnahmen aus den verschiedenen Ressorts sind in einer Strategie zusammengeführt, die zentral im Bundeskanzleramt koordiniert wird und durch eine Stabstelle umzusetzen ist", informierte Karoline Edtstadler.

2018 sei unter dem österreichischen EU-Ratsvorsitz eine Definition von Antisemitismus angenommen worden, woraufhin an alle Mitgliedstaaten der Auftrag erging, eine nationale Strategie ins Leben zu rufen. In Österreich soll diese als Wegweiser und Impulsgeber fungieren. Die Verfassungsministerin sei stolz darauf, dass Österreich eine konkrete Vorgangsweise aufzeigen könne: "Eine der Säulen stellt die Sicherheit von jüdischen Einrichtungen dar, was durch die Verstärkung der Kooperation mit dem Innenministerium geschehen soll. Dazu kommt die Sicherstellung von effektiver Verfolgung einhergehend mit einer entsprechenden Sensibilisierung der Behörden." Eine Rolle spiele zudem das Einbeziehen von Zivildienern und des Bundesheers. "Bei der Integration legen wir einen verstärkten Fokus auf die Vermittlung präventiver Maßnahmen in Bezug auf Antisemitismus."

Großer Wert werde auch auf die Dokumentation und den europaweiten Austausch gelegt, um Tendenzen zu erkennen und entgegentreten zu können: "Eine Dokumentationsstelle soll in Kooperation mit der Kultusgemeinde auf europäischer Ebene vergleichbare Daten sammeln und evaluieren, wer welche Daten sammelt und was darin festgehalten wird." Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft bezeichnete Karoline Edtstadler als Schlüssel zum Erfolg – man werde daher eine Plattform für den gesellschaftlichen Austausch auf den Weg bringen. "Wir stehen am Beginn eines Prozesses, einer Vision von einer Gesellschaft frei von Antisemitismus, wo jüdisches Leben gedeihen kann. Jetzt stellen wir die Weichen für die Zukunft, um sicherzustellen, dass jüdisches Leben Teil unserer Gesellschaft ist, weswegen wir es schützen, fördern und sichtbar machen wollen", betonte Edtstadler.

Kogler: Für die Sicherheit der Jüdinnen und Juden sorgen

Vizekanzler Werner Kogler betonte bei der Präsentation der Strategie: "Österreich hat eine historische und vor allem immerwährende Verantwortung und Verpflichtung, entschieden gegen Antisemitismus aufzutreten. Wir haben für die Sicherheit der Jüdinnen und Juden in unserem Land zu sorgen." Die grausame Judenverfolgung durch das menschenverachtende NS-Vernichtungsregime habe die jüdische Gemeinde in Österreich fast vollständig ausgelöscht. Menschen wurden in Konzentrationslager verschleppt, was viele nicht überlebten. Darüber hinaus habe die verfehlte Politik in den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik letztlich dazu geführt, dass die jüdische Gemeinde in Österreich heute nur noch rund 15.000 Angehörige zählt. Diese Gemeinde führe heute wieder ein lebendiges kulturelles Leben. Umso erschreckender sei es, wenn Jüdinnen und Juden immer noch mit antisemitischen Angriffen konfrontiert seien.

"Die Republik hat die Verantwortung für den Schutz all seiner Bürgerinnen und Bürger und besondere Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens, seiner Kultur und seines Lebensraums. Denn die jüdischen Zentren sind bedauerlicherweise heute wieder Angriffsziel von Extremisten", so Kogler. Ausgangspunkt für immer neue verabscheuungswürdige Anfeindungen gegen Jüdinnen und Juden sei vielfach dort, wo Verschwörungstheorien propagiert und Sündenböcke gesucht werden.

Antisemitismusstrategie aktueller und notwendiger denn je

Auch die Bilder von sogenannten Anti-Corona-Demonstrationen, bei denen sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Judenstern anheften würden, um sich selbst als Opfer eines Unrechts auszuweisen, zeugten von der perversen Anstrengung, die Täter zu Opfern zu machen. Solche Taten seien aber nur die Spitze eines Eisbergs. Sie würden deutlich machen, dass man in Österreich einen gemeinsamen Auftrag zur Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und gewalttätigen Extremismus habe. "Diesen Auftrag und diese Herausforderung nimmt die Bundesregierung selbstverständlich an. Die vermehrten antisemitischen Vorfälle und Attentate machen auch klar, dass jüdische Einrichtungen eines besonderen staatlichen Schutzes bedürfen", sagte der Vizekanzler.

Eine Antisemitismusstrategie zur Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus sei aus diesen Gründen aktueller und notwendiger denn je. Diese Strategie sei ein Bildungs- und Kommunikationsauftrag, der seinen Niederschlag in Staat und Gesellschaft finden müsse. "Das wird nur gelingen, wenn wir alle diese Vorhaben in unserem Umfeld unterstützen und zur Umsetzung beitragen. Nur wenn wir auf allen Ebenen dafür eintreten und kämpfen, dass Jüdinnen und Juden genauso wie andere von Rassismus Betroffene in Österreich frei und ohne Angst leben können, nur dann lebt die Hoffnung auf Zusammenhalt und ein gutes Zusammenleben", so Werner Kogler.

Deutsch: Strategie mit Leben erfüllen – Jeder ist dazu aufgefordert

Der Präsident der Israelitischen Religionsgesellschaft Österreich, Oskar Deutsch, zeigte sich erfreut über die Fertigstellung der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus, die nun "mit Leben erfüllt" werden müsse. Auch wenn in Österreich nach der Shoah wieder eine "einzigartige jüdische Kultusgemeinde" entstehen konnte, so gebe es immer noch Judenfeindlichkeit und gewaltsame Übergriffe. "Wenn aus Worten Taten werden, ist es schon zu spät. Daher ist jeder Mensch in diesem Land aufgefordert, sich gegen Antisemitismus dort aufzulehnen, wo er als Vorurteil daherkommt", so Oskar Deutsch. Wer sich feindseligen Worten nicht entgegenstelle, nehme in Kauf, dass Hass und Gewalt entstünden.

Die österreichische Strategie sei ein "dringend notwendiger Schritt" und könne als Vorbild für andere EU-Staaten dienen. Die Bundesregierung habe damit gezeigt, wie ernst sie es mit dem Schutz jüdischen Lebens meint und dass der Kampf gegen Antisemitismus eine gesamtstaatliche Aufgabe ist. Sein Dank gelte der österreichischen Regierung und allen an der Ausarbeitung der Strategie Beteiligten. Das Engagement der Politik alleine sei aber nicht ausreichend, denn es liege an allen gesellschaftlichen Kräften, an der Umsetzung mitzuwirken.

Europäische Kommission gratuliert zur "ambitionierten Antisemitismus-Strategie"

Auch die Antisemitismusbeauftragte der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein, gratulierte der österreichischen Regierung zur "ambitionierten" Nationalen Strategie gegen Antisemitismus, mit der sich Österreich eindeutig an die Spitze jener Länder setze, die Europa zu einem sicheren Zuhause für die jüdischen Gemeinschaften machen wollen. Sie erinnerte daran, dass vor über 2 Jahren der Rat der Europäischen Union unter österreichischem Vorsitz einstimmig seine erste Erklärung zur Bekämpfung von Antisemitismus in Europa verabschiedet habe. Dies sei ein "Weckruf" aller EU-Mitgliedstaaten gewesen und habe die Länder verpflichtet, nationale Strategien auszuarbeiten und umzusetzen.

Katharina von Schnurbein verwies auch darauf, wie wichtig eine "effektive Koordination" und ein "enger Erfahrungsaustausch" auf EU-Ebene seien. Daher wolle die Europäische Kommission bis Ende dieses Jahres eine erste umfassende EU-Strategie gegen Antisemitismus verabschieden. Die Antisemitismusbeauftragte dankte abschließend der österreichischen Regierung "für die hervorragende Zusammenarbeit" und wünschte allen Beteiligten "eine glückliche Hand für die Umsetzung der Strategie".

Dokument

Die Nationale Strategie gegen Antisemitismus (PDF, 2 MB)

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