Bundeskanzler Kurz: EU beschließt Sanktionen gegen Weißrussland und spricht Sanktionsdrohungen gegen die Türkei aus
EU-Sondergipfel in Brüssel einigt sich auf verstärkte Corona-Koordinierung
Die 27 Staats- und Regierungsspitzen der Europäischen Union sind am 1. und 2. Oktober bei einem Sondergipfel des Europäischen Rates in Brüssel zusammengetroffen, um über außenpolitische Angelegenheiten zu beraten. Im Fokus standen dabei die Beziehungen zu China und die Stärkung des europäischen Binnenmarktes in der Corona-Krise. Zudem wurde über die Lage in Weißrussland, den Fall Alexei Nawalny, den wiederaufgeflammten Konflikt in Berg-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie die Situation im östlichen Mittelmeer aufgrund der Erdgassuche der Türkei beraten. Auch über die Wettbewerbsfähigkeit der EU, die Industriepolitik und den digitalen Wandel wurde diskutiert. Österreich war beim Gipfel durch Bundeskanzler Sebastian Kurz vertreten.
Dabei haben sich die Staats- und Regierungsspitzen der EU für eine klare Sanktionsdrohung gegen die Türkei ausgesprochen, sollte diese weiterhin Völkerrecht verletzen. Gegen Weißrussland werden Sanktionen verhängt.
Zeichen der Solidarität gegenüber Griechenland und Zypern
"Die aktuellen Völkerrechtsverletzungen der Türkei erfordern eine klare Reaktion der EU. Es braucht Sanktionen und Solidarität mit Griechenland und Zypern. Wir dürfen uns von der Türkei nicht erpressen lassen", sagte der Bundeskanzler. "Es ist gut, dass es nun erstmals klare Sanktionsdrohungen in Richtung Türkei geben wird, wenn das Land weiterhin Völkerrecht bricht." Die EU sei bereit, entschlossen zu reagieren, sollte die Türkei ihr Verhalten nicht ändern, so der österreichische Regierungschef. "Das ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität gegenüber Griechenland und Zypern." Er habe sich immer dagegen ausgesprochen, dass gegenüber der Türkei andere Standards gelten sollten als gegenüber den Nachbarstaaten, sagte der Kanzler. Doch auch jene Länder, die sonst immer viel Verständnis gegenüber der Türkei zeigten, hätten nunmehr eingesehen, dass "mehrfach rote Linien überschritten" wurden. Der erste Textentwurf, der dem Rat vorgelegt worden sei, sei nicht nur für Zypern, sondern auch für Griechenland oder Österreich inakzeptabel gewesen, da er keine klare Verurteilung der Türkei vorgesehen habe, so Sebastian Kurz.
Sanktionen gegen Weißrussland
Die Sanktionsdrohungen gegen die Türkei seien ein Schritt in die richtige Richtung, da dies auch Schritte gegenüber Weißrussland ermögliche. "Das ist aufgrund der Wahlen, die weder frei noch fair waren, leider notwendig geworden", erklärte der Bundeskanzler. Er sei froh, dass die EU eine einheitliche Linie in der Außenpolitik gefunden habe. "Wir müssen jene, die für Wahlfälschungen, willkürliche Verhaftungen und Gewalt gegen friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen. Auch hier braucht es eine rasche Einigung auf Sanktionen gegen das belarussische Regime."
Coronakrise: EU-Koordination verstärken
Im Kampf gegen die Corona-Krise haben sich die EU-Staaten auf eine verstärkte Zusammenarbeit verständigt. Auch wenn die Pandemie nicht auf der Tagesordnung gestanden sei, hätten Österreich und einige weitere Mitgliedstaaten die Debatte angeregt. Daher habe man sich intensiv dazu ausgetauscht, informierte Bundeskanzler Kurz bei einem Briefing. "Es braucht eine enge Koordinierung in Europa. In einigen Bereichen sind die Mitgliedstaaten selbst gefordert, aber es gibt auch Bereiche, bei denen eine europäische Abstimmung wichtig ist, etwa was den Umgang und die Regelungen bei Reisen und Reisewarnungen betrifft."
Positiv hervorzuheben sei, dass es in der EU eine gute Zusammenarbeit bei der Beschaffung und Erforschung eines Impfstoffes gebe. Bis dahin werde man aber einen herausfordernden Herbst und Winter erleben. Österreich wolle mit den gesetzten Maßnahmen jedoch einen zweiten Lockdown verhindern.
Forderung nach lückenloser Aufklärung des Falls Nawalny
Im Fall des mutmaßlich vergifteten russischen Oppositionellen Alexei Nawalny forderte Bundeskanzler Sebastian Kurz eine lückenlose Aufklärung: "Ich bin der festen Überzeugung, dass es notwendig ist, diesen Anschlag vollständig aufzuklären. Wir sind dankbar für die Informationen, die wir vonseiten der deutschen Behörden erhalten haben. Ich glaube, dass es richtig ist, dieses Thema jetzt auf europäischer Ebene zu besprechen und gegebenenfalls darauf zu reagieren." Klar sei, dass so etwas nicht stattfinden dürfe.
Die EU verlangt von Russland eine unparteiische internationale Untersuchung und, dass die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden.
Reform des EU-Wettbewerbsrechts notwendig
Bereits am Donnerstag war der Bundeskanzler mit Ratspräsident Charles Michel, dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Austausch zusammengetroffen. Der Kanzler forderte danach eine Reform des EU-Wettbewerbsrechts: "Damit die Europäische Union im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig bleiben kann, braucht es eine dringende Reform des Wettbewerbsrechts. Nur so können wir uns gegen China und die USA weiterhin behaupten und unseren Unternehmen eine Erholung von der Covid-19-Krise ermöglichen."
"Wir sind der festen Überzeugung, dass der Recovery Fund von 750 Milliarden Euro ein wichtiges Tool sein kann, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau der EU zu unterstützen. Es kommt jedoch darauf an, wohin das Geld fließt und wofür es investiert wird. Das muss im Bereich der Ökologisierung, Digitalisierung und Zukunftsprojekte erfolgen. Wir werden weiter dafür eintreten, dass es eine Kontrolle gibt und die Gelder richtig und zweckmäßig verwendet werden", erklärte der österreichische Regierungschef. "Wir müssen aber auch an den Strukturen der EU arbeiten, wenn wir wettbewerbsfähig sein wollen." Das betreffe etwa das Wettbewerbs- sowie das Beihilfenrecht, welche aus österreichischer Sicht überarbeitet werden müssen.
Sofortiges Ende der Gefechte im Konflikt in der Region Berg-Karabach gefordert
Betreffend den wiederaufgeflammten militärischen Konflikt um die Region Berg-Karabach rief der Europäische Rat zu "einem sofortigen Ende der Gefechte" sowie Armenien und Aserbaidschan zu Verhandlungen auf. Ausländische Mächte sollten sich zudem aus dem Konflikt heraushalten.
China-Beziehungen: Verhandlungen zu Investitionsabkommen abschließen
Auch die Erklärung zu China wurde vom Gipfel verabschiedet. Darin rufen die Staats- und Regierungsspitzen dazu auf, die Verhandlungen über ein seit langem geplantes Investitionsabkommen bis Jahresende abzuschließen. Begrüßt wird, dass Peking vor dem Jahr 2060 das Ziel der Klimaneutralität erreichen will. Gleichzeitig äußerte der Rat seine "ernsthafte Besorgnis" zur Lage in Hongkong und zur Behandlung von Minderheiten. "Die Pandemie hat aufgezeigt, wie wichtig die internationale Kooperation ist und wie sehr wir uns alle wechselseitig brauchen. Im Dialog miteinander ist es aber auch notwendig, die eigenen Interessen und Haltungen klar zu vertreten", sagte Bundeskanzler Kurz.
Stärkung des EU-Binnenmarktes
Am Freitag standen beim Gipfel auch die schon lange geplanten Reformen des europäischen Binnenmarktes auf dem Programm. Zentral sind dabei eine "strategische Autonomie" bei der Wirtschaftspolitik. Ein "Schlüsselziel der Union" sei zudem eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit von Drittstaaten. Gefordert wird auch eine "ehrgeizige europäische Industriepolitik", etwa bei der Batterieproduktion oder der Mikroelektronik.
Bilder aus Brüssel sind über das Fotoservice des Bundeskanzleramts kostenfrei abrufbar.