Leugnung, Verfälschung und Verharmlosung des Holocausts
Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) hat nicht nur eine Arbeitsdefinition von Antisemitismus, sondern auch eine Arbeitsdefinition zur Leugnung sowie Verfälschung/Verharmlosung des Holocausts hervorgebracht.
Demnach versteht man unter Holocaustleugnung das Abstreiten der historischen Realität und des Ausmaßes der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten und ihre Komplizen während des Zweiten Weltkriegs (Holocaust oder Shoah genannt).
Holocaustleugnung ist auch gegeben, wenn die wesentlichen Mechanismen der Vernichtung (wie Gaskammern, Massenerschießungen, Verhungern und Folter) oder die Vorsätzlichkeit des Völkermords an den europäischen Juden öffentlich geleugnet oder angezweifelt werden.
Formen der Holocaustleugnung bestehen auch darin, den Juden vorzuwerfen, sie würden die Shoah übertrieben darstellen oder hätten sie gar erfunden, um daraus einen politischen oder finanziellen Vorteil zu ziehen.
Von Verfälschung und Verharmlosung des Holocaust spricht man, wenn der Holocaust selbst zwar als historisch wahr angesehen, jedoch auf unterschiedliche Arten entschuldigt, verharmlost oder falsch dargestellt wird.
In ihrer 2013 vorgelegten Arbeitsdefinition zur Leugnung und Verfälschung des Holocaust hat die IHRA zunächst die folgenden Formen der Holocaustverfälschung und -verharmlosung aufgezeigt:
- Das vorsätzliche Bemühen, die Auswirkungen des Holocaust oder seine wesentlichen Elemente, einschließlich der Kollaborateure und der Verbündeten des nationalsozialistischen Deutschlands, zu entschuldigen oder zu verharmlosen.
Beispielsweise könnte die Behauptung, der Holocaust sei für die Geschichte der jeweiligen Nation nicht relevant, weil er vom nationalsozialistischen Deutschland verübt wurde, eine Form der Verfälschung und Verharmlosung sein, weil ein solches Argument a) die Rolle von lokalen Kollaborateuren oder Mitgliedern der Achsenmächte bei den Verbrechen des Holocaust ignoriert und b) nahelegt, dass das Erbe des Holocaust internationale Normen und Institutionen in der Nachkriegszeit nicht beeinflusst hätte. - Die massive Verfälschung der Zahl der Opfer des Holocaust im Widerspruch zu den verlässlichen Quellen.
Eine Form der Holocaustverfälschung und -verharmlosung ist die Behauptung, die Zahl der Opfer sei um mehrere Millionen geringer als die allgemein anerkannte und auf fundierte wissenschaftliche Studien beruhende Zahl von etwa 6 Millionen Jüdinnen und Juden, die von den Nationalsozialisten und ihren Mittäterinnen und Mittätern ermordet wurden. - Versuche, den Juden die Schuld an dem an ihnen verübten Völkermord zuzuschreiben.
Zu den Formen, die Opfer zu beschuldigen, gehören die Behauptung, dass jüdische Reaktionen auf den Aufstieg des Nationalsozialismus oder die Beteiligung einzelner Jüdinnen und Juden an kommunistischen Bewegungen ihre Verfolgung durch die Nationalsozialisten rechtfertigten. Solche Formen der Verfälschung und Verharmlosung sind historisch falsch, verringern die Last der Schuld der Täterinnen und Täter und legen nahe, der Holocaust sei irgendwie legitimierbar gewesen. - Aussagen, die den Holocaust als positives geschichtliches Ereignis deuten... (und dabei suggerieren,) der Holocaust sei nicht weit genug gegangen, um das Ziel einer "Endlösung der Judenfrage" zu erreichen.
Zum Beispiel ist die Behauptung, der Drang der Nationalsozialisten, das jüdische Volk auszulöschen, sei gerechtfertigt gewesen, nicht nur historisch falsch, sondern es handelt sich dabei zudem um eine unverfrorene Form des Antisemitismus, die versucht, bis heute fortdauernde Gräueltaten gegen Jüdinnen und Juden zu legitimieren. - Versuche, die Verantwortung für die Errichtung von Konzentrations- und Vernichtungslagern durch das nationalsozialistische Deutschland zu verschleiern, indem die Schuld daran anderen Nationen oder ethnischen Gruppen zugewiesen wird.
Diese Form der Verfälschung und Verharmlosung verschiebt die alleinige Schuld am Holocaust auf Kollaborateure vor Ort und ignoriert gleichzeitig die Verantwortung NS-Deutschlands für den Völkermord.
Fallbeispiele für die Verharmlosung des Holocaust
Fallbeispiel 1: Bei einer Corona-Demonstration im Jänner 2021 trug eine Frau ein Schild mit der Aufschrift "Impfen macht frei" und einem Bild von Adolf Hitler, dargestellt als Terminator mit dem Schriftzug "I'll be back". Das Gericht sah darin einen klar wahrnehmbaren Bezug zum Konzentrationslager Dachau und eine gröbliche Verharmlosung des Nationalsozialismus und den damit verbundenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es verurteilte die Frau zu einer bedingten Haftstrafe wegen Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus.
Quelle: "Impfen macht frei": Bedingte Haftstrafe für Covid-Demonstrantin (kurier.at)
Fallbeispiel 2: Im Zuge der jüngsten Entwicklungen des Nahost-Konfliktes hatte eine Frau den Terror der Hamas gegen Israel befürwortet und den Völkermord der Nationalsozialisten an Jüdinnen und Juden geleugnet. Die Frau verstieß dabei gegen das Verbotsgesetz (Wiederbetätigung) und wurde im Juli 2024 zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt.
Quelle: Frau wegen NS-Wiederbetätigung schuldig gesprochen (salzburg.orf.at)
Seit Annahme der Arbeitsdefinition der IHRA zur Leugnung und Verfälschung des Holocaust sind weitere Formen entstanden, vor allem (jedoch nicht nur):
- Der Vorwurf, Jüdinnen und Juden würden den Holocaust für wie auch immer geartete Vorteile "ausnutzen".
Bei Behauptungen, das jüdische Volk würde den Holocaust zum Zweck finanzieller Vorteile "ausnutzen" oder damit die Gründung des Staates Israel rechtfertigen, handelt es sich um antisemitische Verschwörungen, die nahelegen, das jüdische Volk habe die Verfolgungsgeschichte benutzt, um genau bestimmte oder auch nebulöse Ziele zu erreichen. - Die Verwendung des Wortes "Holocaust", um Ereignisse oder Begriffe zu bezeichnen, die in keinem schlüssigen Zusammenhang mit dem Völkermord an den europäischen und nordafrikanischen Jüdinnen und Juden durch NS-Deutschland und seine Mittäterinnen und Mittäter zwischen 1941 und 1945 stehen.
Wegen des paradigmatischen Status des Holocaust als Völkermord und seines symbolischen Status als ultimatives Übel kommt es vermehrt zu problematischen Vergleichen zwischen dem Holocaust und damit nicht verwandten aktuellen Ereignissen, Personen und anderen Genoziden oder Massengräueltaten. Solche unangemessenen Vergleiche können das Verständnis zeitgenössischer Phänomene und das Verständnis des Holocaust verfälschen und verharmlosen. Kurz gesagt, unangemessene Vergleiche vermindern das Verständnis der Implikationen und der Bedeutung des Holocaust. - Die staatlich geförderte Manipulation der Geschichte des Holocaust, um innerhalb oder außerhalb der Grenzen einer Nation politischen Streit auszulösen.
Staatlich gestützte Behauptungen, die die Handlungen anderer Länder während des Holocaust kritisierten, waren in der Propaganda des Kalten Krieges häufig und kommen bis heute vor. Solche Äußerungen rufen Abwehrreaktionen hervor und gefährden die ehrliche Auseinandersetzung mit dieser Geschichte. - Die Verharmlosung oder Ehrung des historischen Erbes von Personen oder Organisationen, die an den Verbrechen des Holocaust beteiligt waren.
Versuche von Staaten und/oder Kommunen, bestimmte Formen nationaler Identitäten zu schaffen, gehen häufig mit Bestrebungen einher, die Reputation von Personen, Organisationen oder Ideologien, die in Verbrechen des Holocaust verstrickt waren, zu rehabilitieren. Ein solches Handeln verfälscht und verharmlost nicht nur die Geschichte, sondern kann auch als Verherrlichung der Kollaboration mit den Nationalsozialisten oder als Versuch, die NS-Ideologie zu legitimieren, betrachtet werden. - Die Verwendung in Online- und Offline-Foren von Bildern und Sprache mit Bezug zum Holocaust für politische, ideologische oder kommerzielle Zwecke ohne Bezug zu dieser Geschichte.
Sprache und Bilder in Verbindung mit dem Nationalsozialismus werden zunehmend in verschiedenen Kontexten verwendet, insbesondere online, um Menschen zu verleumden oder öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn das Wort "Holocaust" oder andere Begriffe in dem Zusammenhang massenhaft benutzt werden, führt dies dazu, dass sie an Wichtigkeit und inhaltlicher Bedeutung verlieren.
Holocaustverfälschung und -verharmlosung können auch entstehen, wenn verschiedene Gräueltaten ohne sorgfältige Kontextualisierung miteinander verglichen werden. Obwohl ein vergleichender Ansatz durchaus fruchtbar sein kann, können unreflektierte Gleichsetzungen des Holocaust mit anderen Gräueltaten gewisse Aspekte der Geschichte verbergen, eine politische Instrumentalisierung fördern oder Verknüpfungen zwischen Völkermorden unterstellen, die die Ausmaße des Holocaust verfälschen würden.