Edgar Torton
"Wien, Wien, nur du allein …"
Das Gespräch mit Evelyn Beck wurde am 7. Juni 2022 in Washington, D.C. geführt.
Edgar Torton wurde 1935 in Wien geboren. Mit seiner Schwester Evelyn und seinen Eltern konnte er Wien verlassen und sich von Italien mit dem letzten Schiff in die USA retten. Nach seiner Ankunft lebte Edgar zunächst in New York und ist heute in Gaithersburg, Maryland, zu Hause.
An mein Leben in und meine Flucht aus Österreich erinnere ich mich nicht mehr. Das hat psychologische Gründe, denn meine Familie und ich haben ein Trauma erlitten. Es ist schwierig zu sagen, ob die Ereignisse, an die ich mich erinnere, tatsächlich stattgefunden haben, oder ob es Erinnerungen an Geschichten sind, die mir immer wieder erzählt wurden.
Eine Erinnerung, die ich an Wien vor unserer Flucht habe, ist ein Einkauf mit meiner Mutter. Wir gingen zum Greißler, um Obst zu kaufen, doch die Angestellten wollten uns nichts verkaufen, weil wir Juden waren.
Ich erinnere mich nur an Geschichten, die mein Vater mir erzählt hat, als wir bereits in den USA waren. An eine erinnere ich mich aufgrund der Art und Weise, wie mein Vater sie mir erzählt hatte – in Jiddisch sagen wir: Shmeykhl, also mit einem halben Grinsen auf dem Gesicht, fast so, als wäre es komisch für ihn, eine Geschichte wiederzuerzählen, die er selbst durchlebt hat. Er war schwerhörig. Der Grund dafür war, dass ihm im Zug nach Dachau oder Buchenwald ein junger Mann – ein Nazi – sagte, er solle einen anderen Mann schlagen. Mein Vater, damals auch noch jung, ging zu dem Mann und gab ihm einen kleinen Klaps. Der Soldat rief ihm daraufhin zu: "Das soll ein Schlag sein?", und schlug ihn auf sein Ohr. Seitdem konnte mein Vater auf diesem Ohr nichts mehr hören.
Eine andere Geschichte, die er uns über die Konzentrationslager, in denen er war, erzählte, ist, dass die Bettgestelle aus Latten bestanden, die so angeordnet waren, dass sie eng genug waren, um nicht durchzufallen, aber weit genug auseinander standen, um sehr unbequem zu sein. So "schlief" er ein Jahr lang.
Anders als seine Schwester Evelyn besuchte Edgar Wien nur einmal, seit er es damals verlassen hatte.
Ich besuchte Wien nur einmal mit meiner damaligen Frau und meinem Sohn. Wir wollten auf dem Dachstein-Gletscher Schifahren und waren davor in Wien. Ich wollte bei unserer alten Wohnung in der Gussenbauergasse vorbeifahren, aber in der Nacht davor wachte ich mitten in der Nacht schweißgebadet auf. Ich werde noch immer sehr emotional, wenn ich darüber spreche. Und so war es das einzige Mal, dass ich nach Wien zurückgekehrt bin, obwohl ich Wien liebe. Ich liebe Sachertorte und die Konditoreien, aber es verbindet mich eine Hassliebe mit der Stadt und auch mit der deutschen Sprache.
Ja: Wien, Wien, nur du allein!
Quelle: Das Denkmal. Das Buch zur feierlichen Einweihung der Shoah Namensmauern Gedenkstätte. Wien, 2023. ISBN: 978-3-9505412-1-2.
Die Namensmauern Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Kinder, Frauen und Männer aus Österreich
Um den österreichischen Opfern der Shoah einen würdigen Ort der Erinnerung zu widmen, entschied die österreichische Bundesregierung im Gedenkjahr 2018, die Pläne für eine Shoah Namensmauern Gedenkstätte des jüdischen Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter aufzunehmen und umzusetzen.
Die Gedenkstätte ist innerhalb kürzester Zeit ein zentraler Ort der Begegnung und der Erinnerung an die österreichischen Opfer der Shoah geworden: nicht nur für Überlebende und deren Angehörige, sondern für all jene, die sich bewusst dort treffen oder zufällig an den Namensmauern vorbeigehen. Vielen wird beim Durchschreiten der Gedenkstätte das schiere Ausmaß des Unrechts, das vom Nationalsozialismus und seinen Anhängerinnen und Anhängern ausging, erst bewusst. Die Opferzahl erscheint mit 65.000 Namen unfassbar hoch und bildet doch nur einen Bruchteil der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen ab. Sie stehen dort als in Stein gemeißeltes Zeugnis und lassen unwillkürlich die Worte "NIE WIEDER" aufkommen.