Elisabeth Scheiderbauer

Porträt Elisabeth Scheiderbauer
Foto: BKA/Andy Wenzel
Unsere Geschichte erzähle ich schon lange in Schulen. Ich möchte nicht, dass diese Zeit vergessen wird.

Das Gespräch mit Elisabeth Scheiderbauer wurde am 23. Oktober 2022 in Wien geführt.

Elisabeth Scheiderbauer wurde 1936 in Wien geboren. Gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Helga Feldner-Busztin überlebte sie das KZ Theresienstadt, ihr Vater das KZ Auschwitz. Sie erzählt ihre Geschichte seit Jahren an Schulen, damit die Gräueltaten des NS-Regimes nicht vergessen werden.

Mein Name ist Elisabeth Scheiderbauer, geborene Pollak. Ich bin im Jahr 1936 in Wien geboren. Ich habe eine Schwester, Helga, sie ist sieben Jahre älter als ich. Sie hatte eine noch viel schlimmere Zeit.

Meine Mutter kam aus einer Familie mit jüdischer Mutter und evangelischem Vater. Sie ist 1935 oder 1936 zum jüdischen Glauben übergetreten, weil sie gesagt hat, sie will nicht, dass es ihr besser geht als ihren Kindern. Sie stand auf einer Schutzliste, aber meine Schwester nicht. Sie hätte wahrscheinlich gar nicht nach Theresienstadt gemusst. Ich glaube, sie hat sich freiwillig gemeldet, um bei Helga und mir zu sein – sie war eine sehr anständige Person. Wie durch ein Wunder entging meine Schwester dem Weitertransport nach Auschwitz dreimal. Sie hat mit 16 Jahren in der Landwirtschaft gearbeitet und war eine so gute Arbeiterin, dass sie in Theresienstadt bleiben konnte.

Portrait von Elisabeth und Helga mit ihrer Mutter
Portrait von Elisabeth und Helga mit ihrer Mutter. Foto: Elisabeth Scheiderbauer, privat

Ich war in einem Kinderheim für schwerbehinderte Kinder aus Berlin, weil es keinen anderen Platz gegeben hat. Es war verboten, den Kindern irgendeine Schulbildung zukommen zu lassen, deshalb konnte ich bis zum achten Lebensjahr nicht lesen und schreiben. Alle Insassen des Kinderheims wurden abtransportiert und mich haben sie zurückgelassen, weil die jungen Männer, die uns beaufsichtigt haben, wussten, dass ich mit meiner Mutter und Schwester dort bin. Ich war das einzige Kind, das diese ganze traurige Geschichte überlebt hat. Dann konnte meine Mutter mich bis zum Ende des Krieges zu sich nehmen. Sie kannte auch eine deutsche Gymnasialprofessorin, die mir ganz schnell lesen und schreiben beigebracht hat.

Das Foto zeigt ein Portrait von Elisabeth Scheiderbauers Mutter.
Das Foto zeigt ein Portrait von Elisabeth Scheiderbauers Mutter. Foto: BKA / Andy Wenzel, Elisabeth Scheiderbauer, privat

Meine Mutter war eine sogenannte Reibfrau im Kinder­heim, um in meiner Nähe bleiben zu können. Sie hat in der Küche gearbeitet und konnte uns dadurch heimlich mit Essen versorgen. Sie war ­wirklich fantastisch. Es gelang ihr auch, Helgas ­Transport nach Auschwitz zu verhindern. Unsere Mutter war eine Heldin.

Als die Russen kamen und das Lager befreiten, war eine Typhusepidemie ausgebrochen. Wir mussten in Quarantäne und konnten das Lager erst Monate später tatsächlich verlassen.

Als wir nach Wien kamen, war ich absolut schockiert und habe bitterlich geweint, als ich die zerbombte Stadt gesehen habe. Man hat mir immer erzählt, wie schön Wien sei und dass wir nach Wien zurückkommen werden, wenn der Krieg aus ist. Dabei war es eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen. Wir sind dann in ein Auffanglager – ich glaube im 18. Bezirk – gebracht worden und von dort zu meiner Großmutter, da mein nicht-jüdischer Großvater knapp vor Kriegsende gestorben war.

Meinen Vater habe ich zu diesem Zeitpunkt das erste Mal gesehen, ich war neun Jahre alt. Es war ein unglaubliches Erlebnis – auch für ihn –, an das ich mich heute noch erinnere. Ich hatte ganz kurze Haare wegen der Läuse. In einem Lager habe ich mir eine kleine Lederhose zum Anziehen ausgesucht. Mit den kurzen Haaren und den Lederhosen glaubte der Papa, ich sei ein Bub, da war ich dann sehr enttäuscht. Wir haben uns in weiterer Folge näher kennengelernt, der Papa und ich. Er war ein Engel für mich, mein ganzes Leben lang. Er hat mich nach dem Krieg wahnsinnig verwöhnt.

Ich bin sehr bald in die 4. Klasse Volksschule gekommen und danach weiter ins Gymnasium. Dazwischen habe ich getanzt, ich habe immer getanzt, ich habe auch schon in Theresienstadt getanzt, im Kopf tanze ich noch immer. Ich glaube, 1947 habe ich die Aufnahme­prüfung an der Akademie für Musik und darstellen­de Kunst geschafft und eine Aus­bildung als Tänzerin gemacht. Ich bin gleich nach dem Abschluss vom Salzburger Landestheater engagiert worden, wo ich ein Jahr lang geblieben bin. Dann ist das Volksopernballett gegründet worden, wo ich als Balletttänzerin aufgenommen wurde. Ich war Gruppentänzerin und habe mich wahnsinnig wohl ­gefühlt im Ballett. Tanzen ist eine völlig andere Welt als jede andere. Ich habe mich total beschützt gefühlt. Ich hatte auch nicht das Gefühl, unbedingt in der ersten Reihe stehen zu müssen, es hat mir auch die fünfte Reihe genügt. Mit dem Tanzen habe ich ­relativ früh aufgehört. Nach einer kurzen Phase in einer Lohnverrechnung habe ich angefangen, für ­meinen zukünftigen Ehemann zu arbeiten. 1962 haben wir schließlich geheiratet und gemeinsam sehr viele Filme gemacht, auch die Serie "Hello ­Austria, Hello Vienna". Später habe ich mit der Produktion begonnen und Spielfilme gemacht, darunter "Muttertag", "Tarabas" und viele mehr.

Unsere Geschichte erzähle ich schon lange in ­Schulen. Ich möchte nicht, dass diese Zeit vergessen wird. Ich rede mit Schülern, Kindern und Jugendlichen. Die Kinder in den Schulen sind teilweise schockiert, das kann sich ein Kind der heutigen Zeit nicht vorstellen. Man soll es nicht vergessen.

Foto: Elisabeth Scheiderbauer sitzend in ihrer Wohnung mit ihrem Hund
Foto: BKA /Andy Wenzel

Helga und ihre Schwester Elisabeth haben viele Familien­mitglieder verloren, vor allem aus der Familie ihres Vaters. Diese stammten aus der früheren Tschechoslowakei und finden sich nicht auf der Namensmauern Gedenkstätte in Wien. Auf der Seite der Mutter findet man aber die Familie Pachner unter den Namen der Opfer. Elisabeth war zu jung, um sich an Verwandte zu erinnern. Sie findet die Gedenkstätte sehr wichtig.

Ich war bei der Einweihung, aber es hat mich eigentlich schockiert, dass das nicht schon früher passiert ist. Aber es ist gut, dass diese Gedenkstätte jetzt da ist.

Ihre Schwester Helga und sie verbindet der Wunsch nach Gedenkstätten für alle im Holocaust ermordeten Menschen.

Quelle: Das Denkmal. Das Buch zur feierlichen Einweihung der Shoah Namensmauern Gedenkstätte. Wien, 2023. ISBN: 978-3-9505412-1-2.

Die Namensmauern Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Kinder, Frauen und Männer aus Österreich

Um den österreichischen Opfern der Shoah einen würdigen Ort der Erinnerung zu widmen, entschied die österreichische Bundesregierung im Gedenkjahr 2018, die Pläne für eine Shoah Namensmauern Gedenkstätte des jüdischen Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter aufzunehmen und umzusetzen.

Die Gedenkstätte ist innerhalb kürzester Zeit ein zentraler Ort der Begegnung und der Erinnerung an die österreichischen Opfer der Shoah geworden: nicht nur für Überlebende und deren Angehörige, sondern für all jene, die sich bewusst dort treffen oder zufällig an den Namensmauern vorbeigehen. Vielen wird beim Durchschreiten der Gedenkstätte das schiere Ausmaß des Unrechts, das vom Nationalsozialismus und seinen Anhängerinnen und Anhängern ausging, erst bewusst. Die Opferzahl erscheint mit 65.000 Namen unfassbar hoch und bildet doch nur einen Bruchteil der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen ab. Sie stehen dort als in Stein gemeißeltes Zeugnis und lassen unwillkürlich die Worte "NIE WIEDER" aufkommen.

Shoah Namensmauern Gedenkstätte

Dokument

Elisabeth Scheiderbauer – Die Geschichte hinter dem Namen (tagged PDF Deutsch + English) (PDF, 639 KB)