Herbert Kolben

Porträt Herbert Kolben
Foto: BKA/Florian Schrötter
"Einmal ein Wiener, immer ein Wiener."

Das Gespräch mit Herbert Kolben wurde am 8. Juni 2022 in Washington, D.C. geführt.

Herbert Kolben wurde am 24. August 1946 in Wien geboren. Seine Eltern, Mimi Landau-Kolben und Ernst Kolben, stammten ursprünglich aus Wien. Seine Mutter überlebte in einem Versteck, sein Vater kam zuerst nach Theresienstadt, dann nach Auschwitz und schließlich nach Dachau, wo er 1945 befreit wurde. Die Familie wanderte 1951 nach Montreal, Kanada, aus. Herbert lebt heute in Washington.

Mein Vater war in Dachau, wurde aber 1945 befreit. Ich habe noch immer seine Hose, die er im Konzentrationslager trug. Bei Familientreffen sprach die ­Familie immer darüber, was in den Lagern ­geschehen war. Dennoch pflegten mein Vater oder eine meiner Tanten zu sagen: "Einmal ein Wiener, immer ein ­Wiener." Obwohl mein Vater so viel durchmachen musste, habe ich zu Wien trotzdem eine positive Verbindung. Meine Mutter ­versteckte sich während des Krieges gemeinsam mit ihrer Mutter. Ihr Vater und ihre drei Brüder wurden alle in Konzen­trationslager gebracht, die sie jedoch überlebten.

Hose und Fotos sowie Dokumente aus der Zeit.
Diese Hose trug mein Vater im Konzentrationslager. Das oberste Foto zeigt meinen Vater um 1939/40. Darunter ist meine Mutter zu sehen. Die Bilder darunter zeigen meine Großeltern. Die unteren Bilder sind von meinen Großeltern und meinem Vater um 1939. Das unterste Bild ist von meinen Großeltern mit dem jüngeren Bruder meines Vaters um 1921. Foto: Herbert Kolben, privat

Meine Familie lebte im 2. Bezirk. 1942 oder 1943 wurden mein Großvater und mein Vater abgeholt und nach Theresienstadt gebracht. Sie waren dort etwa sechs Monate lang, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurden. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt, er war sehr stark und gut gebaut. Er wurde bei der Ankunft von seinem Vater getrennt. Am nächsten Tag sah er einen Wachmann im Pullover meines Großvaters – meine Großmutter hatte diesen für ihn gemacht. Nach zwei Wochen wurde mein Vater von Auschwitz nach Dachau gebracht. Es wurde nach "Freiwilligen" gesucht und er meldete sich. Mein Vater erzählte, es sei herzzerreißend ­gewesen, als er im Waggon nach Dachau saß. Er weinte, als sie an Wien vorbeifuhren.

Aber: Er überlebte. Er überlebte, weil er stark war und weil er seinen Verstand einzusetzen wusste. ­Als er 1945 befreit wurde, erhielten er und der Bruder meiner Mutter ein Schreiben der ­US-Armee. In diesem wurde ihnen eine sichere Rückkehr nach Wien garantiert. Sie beschlagnahmten ein altes deutsches Fahrzeug und fuhren damit so lange, bis sie keinen Treibstoff mehr hatten. Sie trugen noch immer ihre Häftlingskleidung aus dem Konzentrationslager und klopften bei einem Landwirt an die Tür. Dieser lud sie ins Haus ein und gab ihnen ein Fahrrad. Abwechselnd fahrend und gehend kamen die beiden in Salzburg an. Mein Vater erkrankte an Typhus und kam ins Krankenhaus. Als er zu sich kam und bemerkte, dass er im Krankenhaus lag, umgeben von deutschen Soldaten, schaffte er es irgendwie, der US-Armee zu sagen, dass er Jude sei. So wurde er gleich in den amerikanischen Flügel des Krankenhauses verlegt. Er arbeitete ungefähr sechs Monate als Übersetzer für sie. Schließlich kam er zurück nach Wien. Er ging zur Wohnung meiner Mutter, wo sie sich mit ihren Eltern versteckt hatte. Mir wurde später gesagt, dass sie von den Nachbarn versorgt worden waren und dadurch überlebt hatten. ­Die Familie meiner Mutter hatte vor dem Krieg eine Spedition und diese nahm ihre Tätigkeit nach dem Krieg wieder auf. Mein Vater hatte keine Familie in Wien. Er hatte meine Mutter vor dem Krieg kennengelernt und fing danach dort zu arbeiten an. Ich wurde 1946 geboren, wir verließen Wien 1951. Warum? Das weiß ich nicht. Meine Familie hat nie über die Gründe gesprochen.

Mein Großvater väterlicherseits hatte drei Brüder. Sie wurden alle im Krieg vergast ebenso wie andere Familienmitglieder meines Vaters. Ob sie auf den Namensmauern erwähnt sind? Ich weiß es nicht. Für mich bedeutet es jedenfalls viel, österreichischer Staatsbürger zu sein. Mein Vater musste, wie so viele seiner Verwandten, sehr viel durchmachen. Aber er liebte Österreich immer, er ist dort auch begraben. Nach seiner Pensionierung zog er wieder nach Österreich und lebte dort mit meiner Tante, die noch immer am Leben ist.

Altes Familienportrait
Meine Großmutter väterlicherseits (sitzend), umgeben von anderen Familienmitgliedern. Foto: Herbert Kolben, privat
Foto: Vater und Tante vor dem Unternehmenseingang
Mein Vater und eine Tante, um 1948. Foto: Herbert Kolben, privat
Abbildung eines Ausweises, womit die Reichsarbeitsdienstpflichtige vom Reichsarbeitsdienst ausgeschlossen wurde, Grund: Jude.
Dienstausweis meiner Mutter. Foto: Herbert Kolben, privat
Foto: Großvater vor dem Eingang seiner Gastwirtschaft
Mein Großvater mütterlicherseits, um 1950. Foto: Herbert Kolben, privat
Hochzeitsfoto des Eltern
Die Hochzeit meiner Eltern, 1946. Foto: Herbert Kolben, privat
Foto vom Großvater in Uniform
Mein Großvater mütterlicherseits, Josef Landau. Er diente während des Ersten Weltkrieges in der österreichisch-ungarischen Armee. Foto: Herbert Kolben, privat
Es gibt so viel Hass auf dieser Welt. Aber man sollte nichts verallgemeinern, weder über Menschen, noch über Religionen und ethnische Gruppen. Es gibt überall Gutes und Böses. Mein einziger Wunsch ist Frieden. Jeder sollte Verantwortung für sein Handeln übernehmen und das Beste aus seinem Leben machen.

Quelle: Das Denkmal. Das Buch zur feierlichen Einweihung der Shoah Namensmauern Gedenkstätte. Wien, 2023. ISBN: 978-3-9505412-1-2.

Die Namensmauern Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Kinder, Frauen und Männer aus Österreich

Um den österreichischen Opfern der Shoah einen würdigen Ort der Erinnerung zu widmen, entschied die österreichische Bundesregierung im Gedenkjahr 2018, die Pläne für eine Shoah Namensmauern Gedenkstätte des jüdischen Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter aufzunehmen und umzusetzen.

Die Gedenkstätte ist innerhalb kürzester Zeit ein zentraler Ort der Begegnung und der Erinnerung an die österreichischen Opfer der Shoah geworden: nicht nur für Überlebende und deren Angehörige, sondern für all jene, die sich bewusst dort treffen oder zufällig an den Namensmauern vorbeigehen. Vielen wird beim Durchschreiten der Gedenkstätte das schiere Ausmaß des Unrechts, das vom Nationalsozialismus und seinen Anhängerinnen und Anhängern ausging, erst bewusst. Die Opferzahl erscheint mit 65.000 Namen unfassbar hoch und bildet doch nur einen Bruchteil der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen ab. Sie stehen dort als in Stein gemeißeltes Zeugnis und lassen unwillkürlich die Worte "NIE WIEDER" aufkommen.

Shoah Namensmauern Gedenkstätte