Edna Weissman Magder

Porträt Edna Weissman-Magder
Foto: BKA/Dragan Tatic
Trotz meiner starken Bindung zu Österreich habe ich gemischte Gefühle.

Das Gespräch mit Edna Weissman Magder wurde am 26. Mai 2022 in Toronto geführt.

Dr.in Edna Weissman Magder wurde 1940 in Palästina geboren. Zwei Generationen ihrer Familie stammten aus Wien. Ihre Mutter, Alice, war 1935 nach Palästina ausgewandert, als die Situation zu eskalieren drohte. Dort lernte sie Ednas Vater, Samuel, kennen.

Kurz nach dem "Anschluss" kehrte ihre Mutter nach Österreich zurück, um ihre 15-jährige Schwester Herta und ihre Mutter Theresia Hanni zu retten. Sie konnte ihre Schwester Herta großteils zu Fuß nach Jugoslawien schmuggeln, wo Ednas Vater auf sie wartete, um sie nach Palästina zu bringen. Als die ­Familie in Palästina wiedervereint wurde, diente Ednas Vater während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Armee. Ednas Mutter versuchte auf ähn­liche Weise auch die Großmutter zu retten, doch diese wollte Österreich nicht illegal verlassen. Ein Erlebnis vom 9. November 1938 (Pogromnacht) wiegte sie in falscher Sicherheit: "Mein Großvater hat im Ersten Weltkrieg für Österreich gekämpft und kurz nach der Entlassung vom Dienst ist er an seinen Verletzungen gestorben." Ein Bild vom Großvater in österreichischer Offiziersuniform aus dem Ersten Weltkrieg stand im Vorraum der Wohnung, in der Großmutter Theresia Hanni lebte. Als Nazis in dieser Nacht ihre ­Wohnung stürmten und das Bild sahen, baten sie Ednas Großmutter um Entschuldigung und verließen die Wohnung wieder. So glaubte sie, als Offizierswitwe geschützt zu sein und wollte warten, bis sie legale Papiere für die Einreise nach ­Palästina bekam.

Ende Oktober 1938 musste Ednas Mutter Wien fluchtartig verlassen, da der Aufenthalt für sie als in Österreich geborene Jüdin zu gefährlich wurde. ­Sie versuchte, leider erfolglos, alles, um die Großmutter rechtzeitig aus Wien zu bekommen. Doch der Kontakt brach ab. Theresia Hanni Brody Ungar wurde am 14. September 1942 nach Maly Trostinecs ­(in der Nähe von Minsk), in Weißrussland deportiert. Vier Tage nach ihrer Ankunft wurde sie am 18. September 1942 ermordet.

Porträtfoto: Großmutter, Theresia Hanni Brody, mit der Mutter von Edna Weissman Magder
Meine Großmutter, Theresia Hanni Brody, mit meiner Mutter Alice. Foto: Edna Magder, privat
Foto: Identitätskarte von Theresia Hanni Brody
Die Identitätskarte meiner Großmutter, Theresia Hanni Brody. Foto: Edna Magder, privat
Buchcover "Searching for my Grandmother" mit dem Porträt von Theresia Hanni Brody
Ednas Buch "Searching for my Grandmother". Foto: Edna Magder, privat
Meldezettel von Theresia Hanni Brody Ungar
Theresia Hanni Brody Ungars Meldezettel, der Aufschluss über den Tag ihrer Deportation gibt (zu beachten ist der Vermerk: "ist ausgezogen am:") Foto: Edna Magder, privat
Porträtfoto: Ignaz Yitchak Brody und Theresia Hanni (Löwy) Brody
Meine Großeltern, Ignaz Yitchak Brody, Theresia Hanni (Löwy) Brody. Foto: Edna Magder, privat

Edna Magder fand mehrere Namen von Verwandten an der Shoah Namensmauern ­Gedenkstätte in Wien. Darunter ist der Name ihrer Großmutter, Theresia Hanni Brody Ungar und die Namen der Eltern ihres Stiefvaters Otto, Jakob und Mattel Lea Stengel. Ednas Großmutter hatte zwei Schwestern: eine überlebte den Holocaust, eine ist verschwunden. "Überlebt hat meine Großtante Regina, Rivka Löwy-Fleischman, die wir Tante Rufi nannten. Mit ihr bin ich aufgewachsen in Palästina, später Israel. Sie hat mir immer gesagt: 'Du darfst die deutsche Sprache nicht mit den Nazis identifizieren, sie gehört ihnen nicht.' Ihr Mann, den wir Onkel Philip nannten, war ein feiner Gentleman. Vor seiner Emigration nach Palästina wurde er auf den Straßen Wiens von den Nazis schwer verprügelt. Er starb jung an seinen Verletzungen. Obwohl die Familie meiner Großmutter strenggläubig war, wurden die Töchter für Kultur, Musik und zum Sport ermutigt. Meine Großtante ­Regina hat sogar Gedichte geschrieben. All das war für orthodoxe Juden sehr unüblich. Meine Großeltern haben sich in einer Jugendkonvention getroffen und verliebten sich dort ineinander. Das stellte einen ziemlichen Skandal in ihrer Gemeinde dar. Es war für junge orthodoxe ­Menschen verpönt, sich ihre Partner selbst aus­zusuchen und sich gar zu verlieben. Aber das war eine wunderbare Ehe, sie haben sich sehr geliebt, wenn auch leider nur kurz."

Foto: Edna Weissman Magder vor der Namensmauer in Wien. Sie zeigt auf den in der Namensmauer eingravierten Namen "Ungar Therese".
Edna Weissman Magder hat an der Einweihungsfeier der "Namensmauern" am 9. November 2021 in Wien teilgenommen. Foto: BKA/Christopher Dunker

Trotz meiner starken Bindung zu Österreich habe ich gemischte ­Gefühle. Das Land zieht mich sehr an, alles ist mir dort so nah: das Essen, die Sprache, die Kultur. Aber wir haben eine Geschichte, mit der ich nicht leicht leben kann. Meine Großmutter hat kein Grab. Meine ­Verbindung zu Österreich ist beides: sehr eng und trotzdem schmerzvoll."

Foto: Edna Weissman Magder vor der Namensmauer in Wien. Sie zeigt auf den in der Namensmauer eingravierten Namen "Stengel Jakob".
Edna Weissman Magder hat an der Einweihungsfeier der "Namensmauern" am 9. November 2021 in Wien teilgenommen. Foto: Edna Magder, privat
Auf der Namensmauer ist der Name meines Vaters vermerkt. Wir hatten sehr wenige Verwandte, aber der Name meines Vaters sticht dort heraus und die Mauer würde ich noch gerne einmal sehen. Als ich vor mehreren Jahren Theresienstadt besuchte, war ich bei den Schienen, von wo die Züge abgingen. Von dort fuhr ich nach Auschwitz, ich war sozusagen auf den Spuren der letzten Reise meines Vaters. Das hinterließ einen tiefen Eindruck bei mir.

Quelle: Das Denkmal. Das Buch zur feierlichen Einweihung der Shoah Namensmauern Gedenkstätte. Wien, 2023. ISBN: 978-3-9505412-1-2.

Die Namensmauern Gedenkstätte für die in der Shoah ermordeten Kinder, Frauen und Männer aus Österreich

Um den österreichischen Opfern der Shoah einen würdigen Ort der Erinnerung zu widmen, entschied die österreichische Bundesregierung im Gedenkjahr 2018, die Pläne für eine Shoah Namensmauern Gedenkstätte des jüdischen Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter aufzunehmen und umzusetzen.

Die Gedenkstätte ist innerhalb kürzester Zeit ein zentraler Ort der Begegnung und der Erinnerung an die österreichischen Opfer der Shoah geworden: nicht nur für Überlebende und deren Angehörige, sondern für all jene, die sich bewusst dort treffen oder zufällig an den Namensmauern vorbeigehen. Vielen wird beim Durchschreiten der Gedenkstätte das schiere Ausmaß des Unrechts, das vom Nationalsozialismus und seinen Anhängerinnen und Anhängern ausging, erst bewusst. Die Opferzahl erscheint mit 65.000 Namen unfassbar hoch und bildet doch nur einen Bruchteil der Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen ab. Sie stehen dort als in Stein gemeißeltes Zeugnis und lassen unwillkürlich die Worte "NIE WIEDER" aufkommen.

Shoah Namensmauern Gedenkstätte